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Georgiens derzeitige Machthaber bemühen sich um NormalitätGeorgien kämpft noch mit sich selbst

■ Zwei Wochen hatte der erbarmungslose Kampf um den Regierungspalast in Tbilissi gedauert. Der Autokrat Gamsachurdia ist geflüchtet...

Georgien kämpft noch mit sich selbst Zwei Wochen hatte der erbarmungslose Kampf um den Regierungspalast in Tbilissi gedauert. Der Autokrat Gamsachurdia ist geflüchtet, zurückgeblieben sind die Verzweifelten, die in den Trümmern des Infernos der georgischen Hauptstadt nach ihren Habseligkeiten suchen. Die Position des Militärrates und der provisorischen Regierung indes ist alles andere als gesichert. Eine Reportage

AUS TBILISSI KLAUS-HELGE DONATH

Starr vor Trauer krümmt sich die Frau über schwelende Holzreste, in der Linken hält sie das Gefäß, mit der Rechten sammelt sie Asche ein. „Das einzige Andenken an meinen Mann“, sagt sie mit monotoner Stimme unaufgefordert zu den Gaffern am Rande. Sie weiß nicht, ob es die Asche ihres Mannes ist — ihre einzige Gewißheit: genau hier ist er verbrannt. Das Haus, unmittelbar gegenüber dem umkämpften Regierungsgebäude, stand in Flammen. Ihr Mann, ein Zivilist, wollte sich retten. Gamsachurdias Leibstandarte stellte das Feuer nicht ein. Der Mann wurde getroffen, schleppte sich zurück in den Eingang. Auch die Ambulanz schaffte es nicht durch das Sperrfeuer. Bis auf die Grundmauern brannte das Haus nieder und mit ihm alles Leben.

Ähnlich grauenvolle Geschichten weiß hier in der eingeäscherten Innenstadt Tbilissis fast jeder zu erzählen. Erbarmungslose 14 Tage müssen es gewesen sein, die der Kampf um den Regierungspalast währte. Die Straßenzüge in Tbilissis pittoresker Altstadt sagen nur eins: hier gab es kein Pardon. Ob Unterschlupf des Gegners oder einfaches Wohnhaus: es schien keine Rolle zu spielen. Kampf auf Leben und Tod. Unvorstellbar, was die wenigen Panzer und Haubitzen angerichtet haben, über die beide Seiten verfügten. Ihre Reste stehen noch in den Straßen.

Wenige Tage nach dem Inferno turnen Kinder auf ihnen herum. Ihre Eltern wühlen in den Trümmern nach ihren Habseligkeiten — meist ergebnislos. Die Menschen sind ruhig, noch lastet der Schock auf ihnen. Kaum einer, der sich laut beklagte. Wenige Häuser weiter sind Studenten an der Arbeit. In den Ruinen des Historischen Museums kramen sie nach Überbleibseln der reichen Vergangenheit des antiken Kolchis. Wie durch ein Wunder fördern sie einige archaische, vorhellenistische Skulpturen zutage. Eine Fruchtbarkeitsgöttin ist heil geblieben. Die Scherben der Tongefäße müssen ein weiteres Mal zusammengefügt werden. Es war das Pech des Museums, genau neben der Geheimdienstzentrale zu liegen. Und wie Datu Turiaschwili, der Kopf der rebellierenden Studenten, meint, nahm es keine der beide Seiten mit den Zielen so genau.

„Zehn Tage haben wir in unserer Wohnung gehockt, raus konnten wir nicht. Die Opposition hat uns mit Brot und Milch versorgt“, erzählt eine etwa 45jährige Frau. Auch sie steht vor den Mauerresten ihrer ehemaligen Wohnung. Helden seien die Oppositionellen gewesen, Molodzij: ganze Kerle. Ihre Verbitterung treibt sie zu überschwenglicher Bewunderung. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund — sie habe ohnehin nichts mehr zu verlieren. Sie will beobachtet haben, wie die Opposition den „Swiadisten“ Brot zugeworfen hat. Gamsachurdia, der einige Etagen tiefer im Bunker voller Völlereien hockte, habe seine eigenen Verteidiger nicht versorgt. Nach Brot hätten sie geschrien. Als das ruchbar wurde, seien sie von den eigenen Leuten umgelegt worden. Noch sind die Beweise nicht gesammelt. Militärrat und provisorische Übergangsregierung sind bemüht, den Bruch in der Bevölkerung nicht noch weiter zu verfestigen. Ihre Macht ist alles andere als gesichert. Nach Schuldigen zu suchen würde ihre Position weiter schwächen. Natürlich kursieren Gerüchte von Festnahmen. Offiziell wird das dementiert. Doch was bedeutet das dort, wo Gesetzlosigkeit herrscht? Die Verantwortlichen versuchen den Eindruck zu vermitteln, alles unter Kontrolle zu haben.

Im Westen ein erneuter „Regierungswechsel“

In der Hauptstadt mag das noch halbwegs angehen, zumindest tagsüber. Aber schon in den Außenbezirken sieht das Bild anders aus. Die Informationen, die Militärrat und Übergangsregierung ausgeben, widersprechen sich häufig. Mal heißt es, Kutaissi, die zweitgrößte Stadt der Kaukasusrepublik, sei in den Händen der Opposition. Dann wird wieder von Übernahme der Swiadisten geredet. Kutaissi liegt westlich von Tbilissi. Je weiter nach Westen Georgiens, desto stärker sind die Anhänger Gamsachurdias. In Sugdidi kontrollieren bewaffnete Zivilisten die einzige Verbindungsstraße zwischen Tbilissi und Suchumi am Schwarzen Meer. Sie sind ungehalten. Sie mißtrauen dem westlichen Korrespondenten, der natürlich ein „Agent“ Schewardnadses ist.

In Kutaissi bestätigt der stellvertretende Vorsitzende der Wirtschaftskommission der Stadt den erneuten „Regierungswechsel“. Zwei Tage nach der Flucht des Präsidenten seien die Alten wieder in ihre Ämter zurückgekehrt — auf friedlichem Wege, wie man sehen konnte. Eine mehrere tausend Köpfe zählende Menge besetzte zunächst den Vorplatz des Rathauses, dann dessen Portal und schließlich den Balkon. Die alte neue Macht rückt ab. Wladimir unterstreicht seine Neutralität. Er sei für die Wirtschaft zuständig und befürworte einen Machtwechsel nur auf legalem, sprich, konstitutionellem Weg. Und mit dieser Meinung steht er nicht allein.

Die Frau hat wirklich keine Angst. Sie ist polnischer Nationalität und lebt seit 20 Jahren in Tbilissi. Trotz ihrer Bewunderung für die Opposition traut sie dem Frieden nicht. Konstantin, ein Grieche, flüstert ihr zu, sie solle nicht so laut reden: „Spitzel sind überall.“ Erst nach mehrmaliger Aufforderung wird sie etwas leiser. Der Grieche und seine Freunde werden bald ausreisen. Athen hat ihnen schon das Visum erteilt, in der Nähe von Saloniki werden sie sich niederlassen. Nach über zweitausend Jahren. Und auch die Polin wird gehen, sie weiß nur noch nicht wohin. Sie glauben nicht, daß es jetzt mit dem Chauvinismus ein Ende haben wird. Sie glauben nicht an den Sieg der Opposition.

Über den Rustaweli, Tbilissis Prachtstraße und Stolz aller Bürger, schieben sich zum ersten Mal seit zwei Wochen Tausende von Menschen. Ihre Gesichter sind ernst, die Geschäfte geplündert, Türen rausgerissen. Ihre Tritte knirschen über das zerborstene Glas. Vor dem Restaurant eines berühmten Hotels bleibt Datu stehen: „Das kränkt unsere Väter am meisten. Das war ihr Lieblingsrestaurant. Ohne es können sie nicht leben“, schmunzelt er.

Der Umsturz wurde von der Intelligenz getragen

Datu liebt Ironie und sein Volk, das er vor Kritik nicht verschont. Im Großen Saal steht eine Stalinorgel. Der Kronleuchter sieht aus wie ein gerupfter Hahn. Auch Datu kann sich die Brutalität und den „Nihilismus“, wie er es nennt, nicht erklären. „Eigentlich streiten sich die Georgier doch nur am gedeckten Tisch — und das mit Ausdauer und ungezügelter Leidenschaft.“ Fast jeden zweiten Passanten küßt er, er ist stadtbekannt. Das Stück, in dem er Regie führt, wurde noch im Dezember aufgeführt. Wie durch ein Wunder ist das Theater stehengeblieben, die Bank daneben ein Torso. Sein Name steht auf dem unversehrten Spielplankasten des Theaters, wo vor hundert Jahren die Damen der besseren Gesellschaft mit einer Woche Verspätung die neueste Pariser Mode vorführten, wie es ein Reisender damals beschrieb. Jeder Georgier sei ein Dichter, meint Datu und dreht seinen Kopf im Kreis: „Die Aufräumungsarbeiten laufen so geschwind, weil alle glauben, die ganze Welt schaut uns jetzt zu. Arbeiten liegt uns nicht so.“

Der Umsturz wurde von Georgiens Intelligenz getragen. Am Donnerstag rief der Militärrat Vertreter aller gesellschaftlichen Organisationen zusammen. Das Gremium ist bestrebt, Gerüchten entgegenzutreten, es sei ein Militärputsch gewesen. Die alte Macht spricht nämlich offen von der neuen „Junta“. Im Haus des Kinos trifft sich ein Teil der Crème de la crème zur Vorbereitung der Sitzung. Berischwili, Mathematiker an der Akademie der Wissenschaften, dem derzeitigen Domizil des Militärrates, meint auf dem Weg zur Versammlung: „Der bewaffnete Aufstand ist eigentlich nicht nötig gewesen. Aber er wäre auf jeden Fall einige Monate später gekommen — mit weit größeren Verlusten. Schon jetzt haben sie Listen zusammengestellt, wer deportiert oder erschossen werden sollte.“

Auch er ist ironisch — Distanz auch zur neuen Macht. Die glaubt nämlich — in konsequenter Verneinung gesellschaftlicher Verhaltensmuster —, mit der Freigabe der Presse und der Verkündung der „Wahrheit“ über das alte Regime ließe sich der Widerstand in den Provinzen brechen. Vom Militärrat über Tengis Tsigua, dem Premierminister der Übergangsregierung, bis zu Dschanturia, dem berühmtesten Oppositionellen und Vorsitzenden der zur Zeit einflußreichsten oppositionellen Kraft, der Nationaldemokratischen Partei, begegnet einem dasselbe hoffnungsverzerrte Erklärungsmuster. Dschanturia sollte es besser wissen. Doch seine Wahrnehmung ist bestimmt durch das Hafterlebnis. Erst am 27. Dezember wurde er befreit. Er sollte erschossen werden. „Zwei Kriminelle, ebenfalls Häftlinge, sollten das erledigen. Lochabischwili, stellvertretender Direktor des Gefängnisses, versprach ihnen für diesen ,Dienst‘ die Freiheit. Ich konnte sie davon abbringen, und sie haben eine Erklärung unterzeichnet. Sie hießen Lominadse und Genauria. Lochabischwili, Mitglied des Helsinki-Komitees, hat sie dann eigenhändig erschossen.“

Dschanturia glaubt an die Kraft des Wortes. Und das verwundert kaum. Im Fernsehzentrum versammelt sich an diesem Abend alles, was Rang und Namen hat. Von den Regisseuren Haindrowa und Schengelaja, über Maler, Dichter, Professoren, bis zum Komponisten Bassileija. Nichts als Geistesarbeiter.

Nationalversammlung: Weg aus der Sackgasse?

Die Zusammenkunft bringt jedoch kein Ergebnis. Der Militärrat unter den Künstlern Kitowani und Joselani besteht darauf, das verfassungsmäßig legitimierte Parlament dazu zu bewegen, den Prozeß der Erneuerung selbst auf den Weg zu bringen. Es soll über Neuwahlen entscheiden und die Übergangsregierung, in der noch alte Minister sitzen, bestätigen. Außerdem soll er den Beschluß im nachhinein bestätigen, der die Institutionen der autoritären Präsidentialherrschaft beseitigt hat. Offiziell wurden dadurch die von Gamsachurdia eingesetzten Präfekte in den Provinzen ihrer Ämter enthoben.

Das Anliegen des Rates stößt nicht auf allgemeine Zustimmung. Ein zweiter Termin wird anberaumt. Unterdessen ruft der Rat die alten Parlamentarier für den nächsten Tag zur Beratung zusammen — in der Hoffnung, daß eine beschlußfähige Mehrheit zusammenkommen werde. Auch das schlägt fehl. Weniger als die Hälfte erscheint — trotz Zusicherung auf Straffreiheit. Auch beim zweiten Anlauf wird kein Ergebnis erzielt. Trotzdem kündigt Tsigua an, der Rat werde in den nächsten Tagen die Macht an die Übergangsregierung abtreten. Das soll am Mittwoch geschehen. Um aus der Sackgasse herauszukommen, schlägt Schengelaja vor, eine Nationalversammlung einzuberufen, in der alle relevanten Kräfte vertreten sein sollen. Er werde dann über Neuwahlen entscheiden und über ein mögliches Referendum: parlamentarische Demokratie oder konstitutionelle Monarchie. Dieser Vorschlag hat viele Befürworter — auch wenn der letzte König Georgiens das Land 1801 verlassen hat.

Im Kabinett des Militärrates herrscht Hektik. Joselani trifft ein. Ständig klingelt das Telefon, Lageberichte laufen ein. Die Unruhe ist spürbar. Dennoch meint der sonst sanfte Haindrowa in kompromißloser Härte: „Alles unter Kontrolle. Ausnahmslos.“ Wirklich? „Sag' ich doch.“ Vor der Tür kramt ein Wachposten nach seinem Feuerzeug. Statt dessen stößt der Mann in seiner Hosentasche auf eine Handgranate.

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