: Der Golem als Schatten und Erinnerung
■ »Golem«, ein Musikdrama von Moni Ovadia im Hebbel-Theater
Seit Ende des 16. Jahrhunderts ist die Legende des Golems ein Synonym für die Geschichte des unterdrückten jüdischen Volkes. In den Zeiten der religiösen Verfolgung, so wurde es über Jahrhunderte weitergegeben, erschuf der Hohe Rabbi Löw, auch Maharal von Prag genannt, einen Golem, der über das Getto wachen soll. Geformt aus dem Lehm der Moldau, sollte er als Diener nur das ausführen was ihm befohlen ist.
Der Überlieferung zufolge hauchte der Wunderrabbi der riesigen Gestalt Leben ein, in dem er der Figur einen Zettel mit dem hebräischen Wort für Wahrheit »emet« zwischen die Lippen legte. Der Herstellung eines Golems waren aber Schranken gesetzt, der Kreatur blieb die Sprache und damit die Seele vorenthalten. Am Tage des jüdischen Feiertags, des Schabbat, mußte der Golem, der Ordnung der Welt gehorchend, wieder in die Reglosigkeit zurückfallen. Entfernt wurde der erste Buchstabe des geheimnisvollen Wortes, übrig blieb das Wort »met«, der Tod. Begleitet wurde die Erweckung und die Leblosigkeit des Golems durch magisch-kabbalistische Formeln und Rituale.
Die Figur des Golems hat über Jahrhunderte hinweg die Phantasie der Menschen beschäftigt, nicht nur der jüdischen. Vor allem in der deutschen Romantik faszinierte die Erschaffung eines künstlichen Menschen. Eine Synthese verschiedener Golemlegenden hat der bulgarische Jude Moni Ovadia im Hebbel-Theater auf die Bühne gebracht. Nach einer literarischen Vorlage von H. Leivik, einem jiddischen Autor der Jahrhundertwende, haben Ovadio und Daniele Abado ein musikalisches Schauspiel, ein Musikdrama, wie sie selber sagen, inszeniert. Der Golem wird hier zum Schatten, zu einer Erinnerung der Menschen an ein mythisches Einvernehmen mit Gott. Er wird zu einer Figur im Hintergrund, die nicht lebt und auch nicht leben will. Zum Schluß vergißt der Rabbi die wöchentlichen Schabbatrituale, und der Golem rächt sich für das Versäumnis. Jetzt erst beginnt er aufzuwachen zum Leben und bringt den Tod. Er tötet die Kinder in der Stadt und im Getto.
Im Zentrum des Aufführung steht die Figur des Wunderrabbi Löw. Moni Ovadio spielt und singt ihn, aber er zeigt nicht das Ringen des Rabbi um sein Geschöpf. Er benutzt ihn, um den Ausdrucksreichtum der jüdischen Musik zu präsentieren, aber die ist allemal wert, gehört zu werden. Und diese Musik, chassidische Klezmerweisen und synagogale Gesänge in schnellem Wechsel, macht auch über zwei Drittel der eigens für Berlin geschaffenen Aufführung aus. Insofern lohnt es sich, in das Hebbel-Theater zu gehen. Beeindruckend ist in Ovadios Golem- Inzenierung vor allem der Trauergesang um die vom Golem getöteten Kinder.
Die Golem-Mythen werden aber noch weiter die Interessenten jüdischer Kultur beschäftigen. Ab 11. Februar steht ebenfalls im Hebbel- Theater eine Golem-Oper von Richard L. Teitelbaum auf dem Program. Der berühmte Golem-Film von Paul Wegener und Carl Boese aus dem Jahre 1920 wird am 23. Januar um 20 Uhr im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus gezeigt. Aber leider nur ein einziges Mal. Anita Kugler
Das Musikdrama von Ovadio ist noch bis zum 18. 1. täglich im Hebbel-Theater um 20 Uhr zu sehen.
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