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Die barbarische Kultur

■ Ein Kolloquium der FU zum Thema: Kunst und Literatur nach Auschwitz

Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.« Dieser Satz, geschrieben von Theodor W. Adorno im Jahr 1949, war das zentrale Thema der ersten Veranstaltung eines Kolloquiums Kunst und Literatur nach Auschwitz an der Freien Universität. An vier aufeinanderfolgenden Montagen soll dort eine Auseinandersetzung mit dem Umgang von KünstlerInnen und LiteratInnen mit dem Genozid stattfinden und ein »Beitrag zur kollektiven Erinnerung«, so das FU-Info-Magazin, geleistet werden.

Am ersten Montag, dem 13. Januar, blieb man — angesichts der Lage des Veranstaltungsortes und der Anfangszeiten (15 Uhr) kein Wunder — weitestgehend unter sich. Ungestört von allzuviel Öffentlichkeit gingen Klaus Laermann (FU Berlin) Detlev Claussen (freier Autor), Lionel Richard (Paris) und Mizhal Komar (Warschau) der Frage nach, ob Adorno die eingangs zitierte Aussage als Darstellungsverbot verstanden hat oder nicht. Während Klaus Laermann die Auffassung vertrat, daß Adornos Satz ein Darstellungsverbot beinhaltet, dieses jedoch von AutorInnen wie Nelly Sachs und Paul Celan widerlegt worden sei, verfocht Detlev Claussen die These, daß Adorno mit diesem Satz auf die Unmöglichkeit einer Darstellung des Unbegreifbaren verweisen wollte.

Und beinahe hätte sich der erste Tag des Kolloquiums in diesem akademischen Scheingefecht erschöpft, hätte nicht Mizhal Komar bereits mit seinem Vortrag für Irritation gesorgt, indem er die Frage aufwarf, ob nicht Auschwitz — statt als Verstoß gegen die europäisch-humanistische Denktradition — als Folge derselben betrachtet werden müsse. Legte der zwar wohlklingende, aber etwas gewöhnungsbedürftige polnische Akzent des in Englisch gehaltenen Vortrages noch die Vermutung nahe, daß die verdutzten Gesichter der Kollegen auf sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten basierten, räumte die hervorragende Übersetzungstätigkeit der (namentlich leider nicht vorgestellten) polnischen Dolmetscherin während der anschließenden Podiumsdiskussion diese Vermutung aus dem Weg.

Vielmehr stieß Kolmars Hauptthese, daß das humanistische Denken, unter bestimmten historischen Bedingungen, wie sie zum Beispiel Anfang der dreißiger Jahre gegeben waren, etwas so Schreckliches wie Auschwitz hervorbringen kann, auf Unverständnis. Dabei sparte Komar keineswegs mit Beispielen, um sich verständlich zu machen. »Selbst Tugenden wie Liebe können sich in ihr Gegenteil verkehren«, so Komar, »man kann aus christlicher Nächstenliebe ausziehen, um andere totzuschlagen, man kann, wie zum Beispiel Ezra Pound, aus Liebe zum Menschen den Nationalsozialisten zujubeln.«

Komar führte weiter aus, daß er für einen Film sowohl mit Opfern als auch mit Tätern gesprochen habe und daß ihre jeweilige Rolle während der NS-Zeit keinen Einfluß auf ihre anschließende Lebensführung gehabt habe. Er verwies ferner auf die Biographie des polnischen Autors Tadeusz Borowski, der Auschwitz und Dachau überlebte, dann eine Kurzgeschichtensammlung Pozegnanie Z Marie über Auschwitz schrieb und selbst zum Befürworter des kommunistischen Terrors wurde, bevor er Selbstmord beging.

Komars Ausführungen stießen jedoch bei seinen Kollegen auf wenig Gegenliebe. Denn so sehr sich heute fast alle einig sind, daß das Scheitern des Marxismus auf die marxistische Ideologie zurückzuführen ist, scheint die heilige Kuh Humanismus über jeden Zweifel erhaben zu sein. Dies ist um so erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß der Humanismus stets eine Ideologie der Ausgrenzung war. Über Jahrhunderte der Philosophiegeschichte hinweg bezeichnete der scheinbar neutrale Begriff Mensch einzig und allein den weißen, bürgerlichen Mann. Der Mechanismus, die eigene Identität durch die Ausgrenzung und Löschung des anderen, des vermeintlich Fremden zu gewinnen, funktioniert bis heute. Im Namen der Wahrheit und des Guten wurden durch die Jahrhunderte hindurch ganze Völker und Bevölkerungsgruppen verleugnet, am Reden gehindert, gewaltsam zum Schweigen gebracht. Noch vor einem Jahr mußten Tausende von IrakerInnen ihr Leben lassen für die Verteidigung des Guten in der Welt, wobei sich die BefürworterInnen dieses Krieges ebenso auf humanistische Ideale beriefen wie dessen friedensbewegte KritikerInnen.

Aus diesem gefährlichen Potential der Umkehrbarkeit und Pervertierbarkeit von Werten und Idealen heraus, versuchte Mizhal Komar den Kulturpessimismus Adornos, dessen Abneigung gegen engagierte Literatur und Hinwendung zu antiidealistischen Schriftstellern wie Kafka oder Beckett zu erklären. Leider weigerten sich vor allem seine deutschen Gesprächspartner, auf diesen Gedanken einzugehen. Sonja Schock

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