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Wo mysteriöse Chimären schlafen

Unser GUS-Korrespondent begab sich auf Reisen und mußte erkennen: „Letztlich bin ich an allem schuld“  ■ Wieder in Moskau Klaus-Helge Donath

Reisen war schon in der ehemaligen Sowjetunion kein sonderliches Vergnügen. Und nun im Januar nach Suchumi! Das hätte nicht sein müssen. Der Winter ist gnadenlos, in Matsch und Schnee wird alles gleich. Doch Batumi und Suchumi waren die einzigen Flughäfen Georgiens, die ab und an noch angeflogen wurden. Von Suchumi nach Tbilissi sind es nur noch 400 Kilometer. Wie zu erwarten, lag der öffentliche Verkehr brach. Was tun? Mit dem Taxi weiter. Alles nur eine Frage des Preises — gewöhnlich — und des Benzinvorrates, der vor Aufbruch organisiert sein will. So lernt man meist noch die Verwandtschaft und Bekanntschaft des Taxifahrers kennen.

Diesmal war es völlig anders. Nach Tbilissi? Wohl von allen guten Geistern verlassen! Schließlich fand sich ein guter Geist. Bis Kutaissi, halbe Strecke. Von dort könne ich gewiß mit dem Zug weiterreisen. Akaki war ein Zeuge Jehovas. Hochglanzbroschüren amerikanischer Provenienz lagen im Handschuhfach. Nach einigen Versuchen stellte er seine Bekehrung ein. Erst nach der Straßensperre bei Sugdidi, die die Anhänger des flüchtigen Präsidenten Gamsachurdia kontrollierten, nahm er den Faden noch einmal auf: „Wenn Sie die Bibel kennen würden...“ Denen hätte er das sagen sollen. Doch Akaki kennt seine Landsleute. Kurz darauf hielt er in einem Flecken und verschwand. Ich müßte jetzt umsteigen. Er hatte was mit einem anderen Taxisten arrangiert. Ihm sei das zu heiß, das müsse ich doch verstehen.

Ab Kutaissi fuhr natürlich kein Zug. Schließlich hielt doch ein Wagen. Tbilissi, sie lachten nur. Geld konnte sie nicht überzeugen. Ich wußte noch nicht, warum. Ich wärmte mich auf. Wir liefen mehrere Vorortbahnhöfe an. Schließlich parkten die beiden jungen Männer direkt auf dem Bahnsteig. In fünf Stunden ginge ein Zug. Sie führten mich in einen Hinterraum der Bahnhofsgaststätte. Hier war schon alles bereitet. Dampfendes Fleisch, Salat und Bier. Den Kognak würde sein Mitfahrer noch besorgen. Der Bahnhofsvorsteher traf ein, und Soso, so hieß der Glücksbringer, gab ihm die Order, sich um das Ticket zu kümmern. Ich wollte zahlen. Kommt nicht in Frage. Georgische Gastfreundlichkeit ist sprichwörtlich. In meiner Naivität fragte ich ihn, ob Soso so was wie der Bürgermeister sei. Soso lachte, Politik? Nee — er sei hier das Gesetz. Er reichte mir seine Telefonnummer. Für alle Fälle, wenn es irgendwelche Schwierigkeiten gebe... Ich begriff.

Im Schlafwagenabteil saßen Sergej und Aleko. Auch sie wollten nach Tbilissi. Ein Trauerfall. Pepperoni, Käse und Tschaitscha, ein selbstgebrannter Schnaps standen schon auf dem Tisch. Nein sagen geht hier nicht. Da muß man schon mal über seinen Schatten springen. Aleko und Sergej waren Swanen aus den Gebirgsregionen des Hohen Kaukasus. Ihnen sagt man besondere Blutrünstigkeit nach. Doch wie überall in Georgien toasteten sie auf Freundschaft, Menschlichkeit, Mama und Papa. Nach einer Stunde deutete ich an, jetzt müsse ich aber mal ans Schlafen denken. Vollstes Verständnis! Ganz ungewöhnlich für diese Region. Doch heute machte es mich nicht stutzig. Einige Stunden später war ich allein im Abteil. Nur die Jacke und das Geld um den Bauch, das sie wohl für meinen Vorbau hielten, hatten sie mir gelassen. Der Schlafwagenschaffner, der sich vorher noch angeregt mit den beiden unterhalten hatte, wußte natürlich von nichts.

Ich rief Soso an. Seine Nachforschungen haben nichts erbracht. „Wenn die beiden seit längerem in Kutaissi wohnen, wie sie gesagt haben, hätte ich sie. Die kommen woanders her.“ Trotzdem sucht Soso weiter. Letztlich bin ich an allem schuld. Denn ich war vertraut mit der Auffassung des georgischen Denkers Zereteli: Der Mensch ist nicht allein für das Verbrechen verantwortlich, das er selbst begeht. Denn es gibt nur eine Menschheit, und jeder von uns ist ein Teil des anderen. Sein Kollege Tabidse verfeinerte das noch, auch das war mir nicht fremd: „In den dunklen Konvolutionen schlafen mysteriöse Chimären.“

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