: »A Jew is a Jew«
■ Filmreihe des Arsenal im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus zur Ausstellung »Jüdische Lebenswelten«
Vom 15. Januar bis 22. April zeigt das Arsenal im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus von jeweils Mittwoch bis Sonntag um 20 Uhr jüdische Filme aus Polen, der UdSSR, den USA, Österreich, Israel und anderen Ländern. Ab Februar werden die Filme im Arsenal wiederholt. Jeden Mittwoch stellen wir sie hier kurz vor.
Pünktlich zur momentanen Lubitsch- Retro ist heute abend Meyer aus Berlin (1924) zu sehen, der lange als verschollen galt. Der Meister selbst gibt hier eine rasante Performance als mopsfideler junger Mann, der, angetan mit einem Ungetüm von einem Tirolerhut, den verzärtelnden Armen seiner Gattin ins Berchtesgadener Land entflieht. Um zu seinem Kurschatten zu kommen, räumt er mit Eleganz und liebenswürdiger Unverschämtheit Konkurrenten vom Schlage eines ungehobelten Schalser aus Zwammerdamm beiseite (»Aus Zwammerdamm? Dann können Sie hier überhaupt nicht mitreden!«).
Vor der imposanten Kulisse eines Postkarten-Watzmann, begleitet von einer scheinbar schwerelosen Kamera, entfesselt Lubitsch die Berliner Ausgabe der Wahlverwandtschaften, bei denen weder er noch seine Gespielinnen jemals von der genüßlichen Selbstironie ablassen: Federleicht verläßt man das Kino.
Am Donnerstag folgt Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam (1924), ein Stummfilm, über dessen Interpretation sich trefflich im Gropius-Café disputieren läßt. Ist die Geschichte vom Prager Rabbi Loew, der zur Rettung seines Volkes einen Menschen aus Ton, einen Golem, fertigt, welcher sich schließlich gegen dieses Volk kehrt, ein Beispiel dafür, wie assimilierte Juden aus dem Westen ihre chassidischen Glaubensbrüder in den osteuropäischen Gettos gesehen haben, nämlich als höchst unheimlich? Ist Der Golem ein Vorgriff auf Nosferatu, Frankenstein und King-Kong (an Szenen mit La Belle et La Bete fehlt es jedenfalls nicht)? Oder ist der Golem, ein Produkt kabbalistischer Zahlenmystik, gar ein Vorläufer des Computers HAL in Kubricks 2001?
Wie dem auch sei, die Kulissen des Films, höhlenartige, expressionistische Lehmbauten des Berliner Architekten Pölzig, die engen Gassen des Gettos (die ja tatsächlich oft abbrannten), die apokalyptische Stimmung und die flammenden Augen des Monsters (Wegener selbst in seinem Metier als Rasender, Abartiger, Teuflischer) hauchen dem Golem immer neues Leben ein.
In zeitlicher und auch inhaltlicher Nähe zum Golem steht Das Alte Gesetz (1923) von Ewald André Dupont, der am Freitag zu sehen ist. Der Erzählung vom jungen Baruch, der sein galizisches Getto verläßt, um als Schauspieler ans Wiener Burgtheater zu gehen, ist von derselben gegruselten Faszination mit dem osteuropäischen Chassidismus beseelt wie Golem, allerdings hier mit etwas mehr Verständnis.
Der Konflikt zwischen dem Rabbi und seinem abtrünnigen Sohn wird sowohl als Ödipaldrama mit Hamlet und Don Carlos verbunden als auch als Konflikt zwischen ländlicher Tradition und städtischer Assimilation gezeigt. Keine der beiden Welten wird denunziert; die Versöhnung am Totenlager des Vaters hat niemanden seine Identität gekostet. Wenn der Szene trotzdem die Wehmut des »zu spät« anhaftet, so liegt das am unausweichlichen Fortgang der Zeit, der die jüdischen Lebenswelten wie Eisschollen auseinandertreibt.
Wer Zeit hat, sollte ruhig am Samstag beide Filmangebote nutzen: Um 17 Uhr ist Les Derniers Marranes zu sehen, ein Dokumentarfilm des Israeli Frédéric Brenner über die Geschichte der Juden Portugals und deren vereinzelte Nachfahren in Belmonte, der sich schon allein wegen seiner Farben lohnt. Weißgekalkte Friedhofsmauern, Himmel in warmem Blau oder Mondnächte und Marktplätze erzeugen in Zusammenhang mit den Interviews eine Nähe, die über bloße Kalenderblatt-Ethnographie hinausgeht.
In den Interviews stellt sich heraus, daß die spanische Inquisition, die Vertreibung und der nach wie vor vorhandene Antisemitismus das religiöse Gedächtnis der Gemeinde fast zerstört haben: Was genau feiert man am Pessachfest? Wie war das mit dem Auszug der Israeliten? Wie backt man Mazze? Der Film hütet sich vor sakraler Präservationsstimmung und besteht darauf, daß Religionsausübung eben das ist, was Leute gerade praktizieren, und nicht ein statischer Kodex.
Am Abend folgt Hester Street (1974), ein Spielfilm von Joan Micklin Silver, der im Milieu der Sweatshops der Lower East Side New Yorks spielt, in den vollgepfropften Mietskasernen und engen Straßen, auf denen um die Jahrhundertwende über eine halbe Million jüdischer Immigranten aus Osteuropa, vor allem Rußland, lebten. Die komplizierten Beziehungen zwischen Jankel, der sich nun Jake nennt, seiner nachgereisten, orthodoxen Frau, einem verhinderten Rabbi und einer einsamen lebenshungrigen Assimilierten werden differenziert und mit großer Sympathie für die Frauen und die Eingeschüchterten erzählt.
Typisch für die Regisseurin findet die Handlung vor allem in den Gesichtern statt. Das vorsichtige Lächeln, mit dem sich die »grine« Immigrantin und der Rabbi zuflüstern, daß sie Kolumbus die Pocken an den Hals wünschen, spricht Bände. Mariam Niroumand
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