: Fünf Plenen sorgen für gute Organisation
■ Noch immer besetzen etwa 90 Asylbewerber Räume im Mathematik-Gebäude der Technischen Universität/ Studenten kümmern sich abwechselnd um die Flüchtlinge/ Politische Diskussionen und Alltagsbewältigung/ »Wir sind kein Hotel«
Charlottenburg. Die Situation war schon mal schlechter — wenn man sie an dem mißt, was die Flüchtlinge hinter sich haben. Im letzten Jahr ist Familie Osrim in Meißen von Rechtsradikalen angegriffen worden. »Hier fühlen wir uns sicherer und unsere Kinder leiden nicht mehr unter Schlafstörungen«, sagt Vater Plamen.
»Hier« heißt in der Technischen Universität, in der dritten Etage des mathematischen Instituts am Ernst- Reuter-Platz. »Hier« leben im Moment ungefähr 90 Flüchtlinge aus 13 Nationen in zehn Zimmern. Einfacher ist das Leben der türkisch-bulgarischen Familie aus Meißen durch den Umzug nach Berlin aber nicht geworden. Es ist Mittag. Der Gang im dritten Stock des Mathe-Gebäudes liegt im Halbdunkel. Die Zimmertüren sind verschlossen. Nur am Ende des Flures wird es heller, von dort sind aus einer offenen Tür Stimmen zu hören. In diesem Raum wird gerade der Frühstückstisch abgedeckt.
Wo sich so viele Menschen so wenig Platz teilen müssen, ist gute Organisation höchstes Gebot. Fünf verschiedene Plenen gibt es deshalb. Ein Männerplenum, ein Frauenplenum, ein »gemeinsames Flüchtlingsplenum« für alle, ein koordinierendes »Flüchtlingskomitee« und das »UnterstützerInnen-Plenum« . Auf den allabendlichen Sitzungen sorgen die Flüchtlinge, die die Räume am Ernst-Reuter-Platz zum Teil seit Oktober letzten Jahres besetzt halten, für zweierlei. Plamen berichtet, daß sie zum einen interne Angelegenheiten wie den Putzplan regelten und Mißverständnisse klärten, die jedoch nur durch Verständigungsprobleme entstünden. Zum anderen planten sie politische Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit. »An diesen Aktionen nimmt jeder ganz selbstverständlich teil. Schließlich kommt hier nur her, wer auch politisch motiviert ist. Wir sind kein Hotel«, erklärt Sabine von der studentischen UnterstützerInnen-Gruppe. Aber nicht jeder ist politisch so motiviert, wie die türkischen Männer, die in einem anderen Zimmer sitzen. Die vier diskutieren gerade mit sogenannten »Pendlern« — so nennen die Besetzer jene Ausländer, die ihre Aktionen mittragen, aber nicht mit im TU-Gebäude übernachten. Gegenüber Fremden sind sie mißtrauisch — ihre Namen nennen sie nicht. Es dreht sich jedoch nicht alles um Politik. Neben Diskussionen und Demonstrationen müssen die Asylbewerber auch Alltägliches meistern. Da müssen zunächst die 17 Kinder versorgt werden. Einige Frauen haben endlich kleine Wannen kaufen können, um sie zu waschen. Manche Kinder werden in den Kindergarten gebracht. Nachmittags sorgt ein Teil der Unterstützer für Abwechslung. »Heute gehen wir Schlittschuhlaufen. Gott sei Dank, hab' ich einen Spender gefunden«, freut sich Sabine. Wer mit dem Putzdienst dran
ist, muß für Ordnung in Küche und Duschen sorgen. Alle zwei Tage ein anderes Zimmer.
Probleme bereitet auch die Enge. »Wie kann man sich wohlfühlen«, fragt Ali, »wenn man mit elf Menschen in einem Zimmer wohnt?« Alleine könne man hier nicht sein. Aber es gebe schließlich Wichtigeres als die eigene Person, etwa Diskussionen um das Bleiberecht.
»Bei all dem wollen wir helfen«, sagt Unterstützerin Miriam, die auch als Übersetzerin dient. »Wir sind Studenten, im Asta engagiert und teilweise selbst Ausländer«. Die 40 Leute der Gruppe kümmern sich abwechselnd um die Flüchtlinge, die hauptsächlich aus der Türkei und Rumänien kommen. So betreut ein Teil die politische Arbeit, ein anderer ist ständig auf der Etage anwesend, »da
mit nicht alles außer Rand und Band gerät«. Die Unterstützer haben auch einen »Versorgungstrupp« gebildet.
Seit zehn Tagen gilt eine neue Regelung. Statt für alle einzukaufen, zahlt diese Gruppe den Flüchtlingen dreimal die Woche Geld aus. Jeder bekommt pro Tag fünf Mark für Essen und fünf Mark für den persönlichen Bedarf. Die Erfahrung hat gezeigt, daß eben nicht jeder den gleichen Tee oder das gleiche Brot mag, erläuter Sabine. Das Geld dafür komme aus Spenden der Bevölkerung. Im Gegensatz zur Weihnachtszeit gibt es momentan zwar eine Flaute, »aber das wird schon wieder«.
Diese Schwierigkeiten werden leicht weggesteckt. Viel wichtiger ist der Erfolg der politischen Arbeit. »Demonstrieren ist ja ganz gut«, sagt ein Kurde, »aber wenn sich alle Ausländer solidarisieren würden, wäre es besser«. Sonja Striedl
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