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Steuererhöhung: Zerreißprobe für die SPD

Anfang nächsten Jahres soll nach dem Willen der Bundesregierung die Mehrwertsteuer von 14 auf 15 Prozent erhöht werden/ Die Bundes-SPD will die Steigerung verhindern, doch in den Ländern gibt es auch andere Stimmen  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) — Die Reihen fest geschlossen — ein Schutzwall gegen den neuerlichen Griff in des armen Bürgers Geldbeutel: so möchte die SPD den WählerInnen im Gedächtnis bleiben, die in zwei Monaten in Schleswig-Holstein und Baden- Württemberg ihr Kreuzchen machen sollen. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt also, um zu einem Kompromiß in Sachen Steuerpolitik zu kommen. So zieht sich das Vermittlungsverfahren zwischen Bund und Ländern seit der Ablehnung im Bundesrat im November letzten Jahres hin — und fast niemand glaubt, daß sich vor der Engholm-Wahl noch wirklich was bewegt. Zwar haben sich Finanzminister Theo Waigel und der SPD- Vize Oskar Lafontaine mehrfach, zuletzt vergangene Woche, zu einem Meinungsaustausch getroffen; aber eine Kompromißlinie ist nicht in Sicht.

Die Union beharrt auf eine Mehrwertsteuererhöhung auf 15 Prozent, so wie sie von den Finanzministern der EG im letzten Sommer als Mindestsatz vereinbart wurde. Die SPD will es bei 14 Prozent belassen, die Abschaffung der Gewerbekapital- und eine Senkung der Vermögenssteuer verhindern und Besserverdienende auch nach Ablauf der Solidarhilfe weiter zur Kasse bitten.

Zwar ist ihre Einschätzung von SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier über die Steuerpläne des Finanzministeriums durchaus richtig: Die Masse der BürgerInnen, vor allem KleinverdienerInnen, sollen nach Ergänzungsabgabe und Steuererhöhungen bei Mineralöl, Tabak und Versicherungen mit einer höheren Mehrwertsteuer jetzt auch noch „milliardenschwere Steuergeschenke für Vermögensbesitzer und Großunternehmen bezahlen“. Aber die Sozialdemokraten stehen keineswegs so geschlossen vor dem Portemonnaie des armen Bürgers, wie Matthäus-Maier immer wieder glauben macht. Im Herbst hatte auch der SPD-Parteivorsitzende Björn Engholm eine Mehrwertsteuererhöhung nicht grundsätzlich ausgeschlossen — wenn sich Theo Waigels Finanzpaket an anderen Stellen neu bestücken ließe. Und auch aus Niedersachsen war mehrfach, auch von Gerhard Schröder, zu hören, daß eine Mehrwertsteuererhöhung kein Tabu sein dürfe. Trotzdem konnte Engholm Anfang Dezember nach einer Präsidiumssitzung vermelden: „Seit 14 Wochen gibt es kein Abbröckeln“ mehr — wodurch er ja gleichzeitig einräumt, daß die Einheitsfront nicht von Anfang an bestanden hat.

Streit zwischen Bund und Ländern

Bei dem Konflikt um die Steuermilliarden geht es vor allem um die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern, was nicht zuletzt daran deutlich wird, daß bei der Ablehnung im Bundesrat auch die CDU-regierten Länder Thüringen und Baden- Württemberg gegen den Vorschlag des Bundesfinanzministers stimmten. Die Mehrwertsteuer füllt nämlich in erster Linie die Kassen des Bundes — gegenwärtig erhalten die Länder lediglich 35 Prozent von den Umsatzsteuereinnahmen. Die von Theo Waigel geplante Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die 1991 immerhin rund 6 Milliarden Mark betrug, und eine noch nicht prozentual festgelegte Verringerung der betrieblichen Vermögenssteuer würde hingegen zu Lasten der Länder und Gemeinden gehen. Der Bundesfinanzminister versucht also mit dem von ihm geschnürten Paket, die in erster Linie seiner Kasse zugute kommenden Steuern auszuweiten und den Ländern und Gemeinden dafür andere Geldhähne zuzudrehen.

In den Ländern, in denen ein Sozialdemokrat auf dem Ministerpräsidentensessel sitzt, kursierte im Herbst ein Papier, das die Vorteile einer einprozentigen Mehrwertsteuererhöhung für die Länder pessimistisch einschätzte: von den rund 4,3 Milliarden Mark würden 1,7 Milliarden gleich wieder durch Lasten aufgefressen, die durch die Steuererhöhung bedingt sind. Ebenso wie die Bundesbank argumentiert auch die SPD, daß eine höhere Mehrwertsteuer sowohl die Inflation als auch die Lohnforderungen anheizen würde. Dem Bund aber flößen nach Einschätzung des SPD-Papiers 4,8 Milliarden netto in die Kasse.

Auch der Streit um die Finanzierung des Familienlastenausgleichs stellt sich aus dieser Perspektive betrachtet nicht nur als politische Auseinandersetzung um soziale Gerechtigkeit dar, sondern als knallharte Kalkulation, wer die Rechnung zu begleichen hat. Die SPD fordert eine Erhöhung des Kindergelds von 50 auf 125 Mark fürs erste Kind, die Union will hingegen den Kinderfreibetrag von 3.024 auf 4.104 Mark hochsetzen und das Kindergeld nur um 20 Mark erhöhen. Während die Steuerausfälle sowohl den Bund als auch Länder und Gemeinden belasten würden, müßte das erhöhte Kindergeld ausschließlich aus dem Bonner Haushaltssäckel bezahlt werden.

Interessenskonflikt von Ost und West

Aber auch die Bundesländer haben unterschiedliche Interessen, so daß sich in dem 32-köpfigen Vermittlungsausschuß die Frontlinien auch hier noch einmal verknäulen. Zwar haben die Länderfinanzminister im Oktober beschlossen, den „Fonds Deutsche Einheit“ zur Finanzierung des Aufbaus im Osten besser zu bestücken; aber dem Plan Theo Waigels, dafür die 2,45 Milliarden aus der Strukturhilfe für schwache Westländer zu verwenden, wollen sie auf keinen Fall zustimmen. Insbesonders Rheinland-Pfalz und Niedersachsen plädieren dafür, dieses Geld in einen Topf umzulenken, aus dem vom Truppenabbau betroffene Regionen großzügig bedient werden können. Die für die Unterstützung der neuen Länder bis 1994 fehlenden 30 Milliarden soll nach Auffassung der Landesregierungen der Bund aufbringen — während die Bundesregierung von einer „Gemeinschaftsaufgabe“ spricht, die auf alle Schultern verteilt werden müsse.

Der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU Kurt Farthmann riet Theo Waigel vor ein paar Tagen, das Gesetzespaket zugunsten der neuen Länder ein wenig „anzureichern“: so könnten vielleicht Brandenburg und Berlin aus der SPD-Linie herausgebrochen und dem Steuerpaket im Bundesrat doch noch eine Mehrheit verschafft werden. Aber Theo Waigel hat schon angekündigt, daß er sich von dem Sondierungsgespräch mit Ministerpräsident Stolpe nichts verspricht: es sei ein untauglicher Versuch, durch finanzielle Zugeständnisse die Ablehnungsfront aufzuweichen. So wird die SPD ihre Reihen bis April wohl tatsächlich fest geschlossen halten können — und danach sind die Engholmstimmen schon im Kasten und die Bundestagswahl noch in weiter Ferne. Dann kann das Vermittlungsverfahren weitergehen. Man darf gespannt sein, ob Matthäus-Maiers Worte auch dann noch Bestand haben.

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