: Nichts Genaues weiß man nicht...
■ Treuhandchefin Birgit Breuel stellt sich am Montag abend ihren Kritikern im Zeughaus
Mehr Optimismus von den Bundesbürgern fordert die Präsidentin der Treuhand, Birgit Breuel, die wirtschaftliche Lage in den neuen Bundesländern werde sich schon bessern.
Das hat sie auch bitter nötig. Obwohl alleine im Land Brandenburg im letzten Jahr rund 20 Milliarden D- Mark in die Wirtschaft investiert wurden, stieg die Zahl der Arbeitslosen auf 11,8 Prozent; im ersten Viertel dieses Jahres wird die 25-Prozent- Marke erreicht werden. Das befürchtet jedenfalls Regine Hildebrand, die brandenburgische Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. In den neuen Bundesländern werden allein über 200.000 Menschen arbeitslos, weil frühere AB-Maßnahmen auslaufen. 1992 sind lediglich 150.000 neue ABM- Verträge in Aussicht, mehr sei nicht drin, sagt die Ministerin.
Wer in die Arbeitslosigkeit abrutscht, muß jeden Pfennig zweimal umdrehen; gerade 682 D-Mark betrug im letzten Jahr das mittlere Arbeitslosengeld im Osten der Republik. Die Treuhand als Erblastverwalterin der DDR wird kritisiert, nicht genug neue Arbeitsplätze zu schaffen.
6.200 Firmen stehen noch zum Verkauf, die 1,6 Millionen Beschäftigten der Holding machten 1991 180 Milliarden D-Mark Umsatz — und 30 Milliarden Verlust. Die Währung komme ins Schleudern, befürchtet die Treuhandchefin, wenn sich der Bund weiter verschulde, um die Kosten für die DDR-Betriebe zu decken. Lediglich 70 Prozent von ihnen hält Breuel für sanierungsfähig.
Schon im Jahre 1991 ist das Bruttosozialprodukt der neuen Bundesländer um 20 Prozent gesunken, die Industrieproduktion auf ein Drittel des Vergleichsjahres 1989, rechnet der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Lutz Hoffmann, vor.
Obwohl es in einigen Sektoren der Wirtschaft bergauf geht, so etwa in den Bereichen Bau- und Zulieferindustrie, und das Bruttosozialprodukt in diesem Jahr um satte 10 Prozent steigen kann, hinke die Wirtschaftskraft der neuen Bundesländer dem Westen noch lange hinter her.
Diese Entwicklung werde noch durch eine rapid ansteigende Lohnentwicklung verstärkt, die nicht von der Produktionsseite gedeckt sei. »Wenn die Löhne 1994 in der Bundesrepublik angeglichen werden, bedeutet das de facto, daß nur der Betrieb wirklich konkurrenzfähig ist, der genauso moderne Produktionsanlagen hat wie der entsprechende Betrieb im Westen.«
Die Voraussetzung für Vollbeschäftigung sei die flächendeckende Anhebung des Industriestandards auf Westniveau — »und wie wollen Sie das in ein zwei Jahren schaffen?« Es würden zwar »Produktionsinseln« entstehen, aber hauptsächlich riesige Flächen, »wo es heißt: durchsanieren oder stillegen«.
Da ist guter Rat teuer: etwa 125 Millarden D-Mark pro Jahr koste eine Lohnsubventionierung der unrentablen Arbeitsplätze. Für eine Übergangsfrist von drei bis vier Jahren hält Hoffmann eine begrenzte Subventionierung für vertretbar, »wenn's dann nicht geht, dann soll man sie stillegen«. Es nütze gar nichts, wenn die meisten Fördergelder nach VW in Zwickau, Mercedes in Ludwigsfelde oder nach Opel in Eisenach gingen, befürchtet der Wirtschaftskorrespondent Ralf Neubauer. Das verhindere nicht, »daß ganze Regionen von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden«.
Harry Maier, Professor an der Pädagogischen Hochschule Felnsburg, war bis 1986 stellvertretender Leiter des »Instituts für Wirtschaftswissenschaften« an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften. Er macht vor allem die Führungskräfte der Treuhand für den wirtschaftlichen Ruin vieler Firmen verantwortlich, »denn Sie sind diejenige, die diese Firmen völlig in der Hand haben«. Viele Betriebe seien lahmgelegt, da »die Manager jede Investition von der Treuhand bestätigen lassen müssen. Dieser Manager wird nie ein Risiko übernehmen wollen, zumal er mit einem Zeitvertrag arbeitet.« Die Treuhand sei ein Relikt aus der Planwirtschaft, »entstanden aus dem Glauben, man könne schlagartig eine Volkswirtschaft privatisieren. Das geht nicht.«
Maier fordert, den Managern ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit zurückzugeben und die Kapitaldecke der Firmen zu stärken. Die 14,8 Milliarden D-Mark, die von der Treuhand 1991 dazu bereitgestellt wurden, nennt der Ökonom »mickrig«. Maier beklagt eine De-Industrialisierung der DDR, die es zu stoppen gelte, »sonst verkommen die neuen Bundesländer zu verlängerten Werkbänken des Westens«. Geld müsse vor allem für die Forschung her, denn »haben Sie je eine blühende Region gesehen, wo nicht geforscht worden ist?«
Birgit Breuel nennt die Treuhand erfolgreich: 5.200 Betriebe mit einer Million Beschäftigten seien bereits privatisiert, und damit 114 Milliarden Mark an Investitionen vertraglich gesichert. Durch Management KGs (direkte Kapitalbeteiligung des Managers am Betrieb) werde sehr wohl Eigenverantwortung gefördert, dies gelte für einheimische Manager als auch für Westimporte. Sorgen macht auch ihr die Tarifentwicklung: »Ein Pozent Tariferhöhung im Jahre 92 bedeutet für die Treuhand ein Aufwand von 500 Millionen Mark.«
Trotzdem sieht sie die wirtschaftliche Zukunft der neuen Bundesländer rosig: »Es wird weltweit die einzige Region sein, die voll glasfaserverkabelt sein wird, höchst attraktiv, und das an der Nahtstelle zwischen Ost und West.«
Regine Hildebrandt ist da anderer Meinung. Sie wirft der Bundesregierung vor, sie habe die Situation nach der Wiedervereinigung völlig falsch eingeschätzt, »die dachten, das wird sich schon so hinruckeln«.
Die Ministerin vermißt ein Strukturkonzept, das Gerede: »Ja, wir haben auch nach 45 von vorne angefangen«, kann sie nicht mehr hören.
Energisch fordert sie ein größeres Engagement von der Treuhand, von der sie tief enttäuscht ist, so zum Beispiel durch die Weigerung, mehr Beteiligungsgesellschaften zu gründen.
»Ich glaub's einfach nicht, wenn Sie sagen, Sie sind hier mit Herz und Seele dabei«, ruft sie in Richtung Birgit Breuel. Dieser Vorwurf macht die Treuhandchefin tief betroffen. »Sie sollten nicht versuchen, durch Unterstellungen die Treuhand zu demotivieren«, sagt sie, »Sie sollten mal versuchen zu verstehen, wie das für viele Mitarbeiter der Treuhand ist, die abends, wenn sie nach Hause kommen, einkaufen gehen, geschnitten werden, Schwierigkeiten haben und ähnliches mehr.« — Schwierigkeiten haben auch die Bürger in den neuen Bundesländern, wenn Lutz Hoffmanns Berechnung stimmt, daß sie »erst weit jenseits des Jahres 2000 das Pro-Kopf-Produktionsniveau erreicht haben werden, das in etwa dem Westdeutschlands entspricht«. Genauso lange werde mit hohen Arbeitslosenzahlen zu rechnen sein, auch wenn dies regional unterschiedlich ausfalle.
Peter Christ von der 'Zeit‘ hat in einem Hintergrundgespräch mit einem der Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer erfahren, daß diese Aussicht nicht so tragisch ist, da sich »die Orientierung der Menschen in den neuen Ländern ändern wird, daß sie weniger auf materiellen Wohlstand gerichtet sein wird, daß die Bereitschaft, dieses ‘Rat-Race‚ wie im Westen mitzumachen, abnehmen wird, daß man in einer Art Selbstbescheidungsprozeß sagen wird: Na ja, wenn wir 60 Prozent des Wohlstandes wie im Westen haben, dann reicht uns das auch. Wir besinnen uns auf andere Werte, auf Familie, auf Freizeit, auf Muße, auf Kontakt zu unseren Freunden.« Bei einer Rente von monatlich weniger als 500 D-Mark und einem Vorruhestandsgeld von 700 D-Mark werde bei den DDR-Bürgern wenig Freude aufkommen, entgegnet Regine Hildebrandt, auch nicht bei den 20.000 arbeitslosen Jugendlichen in Brandenburg oder den vielen alleinerziehenden Mütter.
Doch Birgit Breuel findet die Idee gar nicht so schlecht, daß sich die DDR-Bevölkerung durch einen Wertewandel von dem Wunsch nach Wohlstand therapiert, schließlich »hätten die Menschen im Westen dann auch was davon«.
Und darauf kommt es ja schließlich an — oder? Werner
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