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Camino des Indio

■ Geheimnisvolle Rhythmen und lächelnde Melodien in der Passionskirche am Marheinekeplatz

Atahualpa war der letzte König der Inkas. Weiße »Götter« überlisteten den Enkel des großen Tupac Yupanqui »des Eroberers« im August 1533. Sie preßten 24 Tonnen Gold aus ihm heraus, bevor sie ihn hinrichteten. Da er sich auf dem Scheiterhaufen taufen ließ, wurde ihm die Gnade der Garotte zuteil. Anschließend vierteilten sie ihn, vergruben die Teile seines Körpers an den vier Ecken des Reiches und verscharrten den Kopf in der Mitte. Seitdem, so die Sage, wandern seine Körperteile unaufhaltsam aufeinander zu, um sich in nicht allzuferner Zukunft zusammenzufinden und das Inkareich neu zu errichten.

Atahualpa Yupanqui ist der größte noch lebende Dichter und Interpret des lateinamerikanischen Volksliedes. »Der Rhythmus gibt den Liedern ihre Geheimnisse, und die Melodie gibt ihnen ihr Lächeln«, sagt der »große Alte«, der über 500 Liedern den Text gab und sie wie kein anderer zu interpretieren weiß. Die »Psalmen der Pampa« spielt er ebenso wie Baguellas, Milongas und Malambos oder jene Chacarera eines Fiedlers, der sie irgendwo einmal auf einem Friedhof improvisiert hat. »Nicht für alle Toten«, so sagt er, »sondern nur für die, die tanzen konnten.«

Als Hctor Roberto Chavero wird er am 31. Januar 1908 in Campo de la Cruz, einem Ort bei Pergamino im Nordosten der Provinz Buenos Aires, geboren. Seine Mutter ist Baskin, der Vater indianischer Abstammung und arbeitet als Eisenbahner. In seiner Autobiographie Der Gesang des Windes berichtet der Künstler über ihn: »... doch niemand konnte ihn, den schweigsamen Gaucho, der er einmal gewesen war, töten...«.

Musik begleitet den jungen Hctor von klein an. Die Gitarrenklänge, die Vidalas und Cifras vertreiben die Zeit. Vater und Onkel singen ihre Lieder. Mit acht Jahren beherrscht Hctor das Geigenspiel, nun lernt er Gitarre mit Hilfe eines Meisters dieses Instruments — Bautista Almirn. Sein Lehrer zeigt ihm, daß es noch andere Musik gibt als die Melodien, die Vater und Onkel spielen. Er führt den Jungen in die klassische Welt der Terrega, Liszt, Albeniz und Schubert ein. Als Hctor dreizehn Jahre ist, stirbt sein Vater, und die Familie zieht ins nordwestliche Tucaman. Flach ist das Land, und in der Ferne sieht man die Ausläufer der mächtigen Anden.

Hctor Roberto trägt als Mitarbeiter von Zeitungen und als Stummfilmvorführer zum Unterhalt der Familie — Mutter, Bruder und Schwester — bei. Später beginnt er zu schreiben. Mit neunzehn verfaßt er das Gedicht Camino del Indio (Der Weg des Indios). Das Wort Camino (der Weg) hat einen ganz zentralen Platz in seinen späteren Werken. Seine Reflexion auf nicht in Vergessenheit geratene indianische Geschichten und Mythen findet in diesem Gedicht seinen Anfang. Von da an legt der junge Dichter seinen Geburtsnamen ab und nennt sich fortan Atahualpa Yupanqui. Als fahrender Sänger erobert er sich seine Heimat. Reitend zieht er durchs Land, erreicht in vierzig Tagen Buenos Aires, um dort sein Glück zu suchen. Seit dieser Zeit ist das Wort »Pferd« in seinen Werken ein lebendiger Name der Freiheit.

Niemand in Buenos Aires nimmt Notiz von diesem Fremden, der in der Stadt, die gerade im Tangofieber flirrt, von Sagen, Mythen und vergangenen Zeiten erzählt. So schlägt sich Yupanqui als Journalist durchs Leben. 1934 erscheint in Montevideo Aires Indios (Indianische Gesänge), ein Band mit Aufsätzen und Vorträgen, die der nach einer Beteiligung an einem Hungeraufstand am oberen Paran ins uruguayische Exil Geflüchtete, dort hielt.

Nach seiner Rückkehr in die Heimat sind seine Lieder noch aggressiver. Sie treffen genau den Nerv der Caudillos, die Polizei sucht ihn überall. In Argentinien ist Atahualpa Yupanqiu trotz literarischer Berühmtheit ein Sänger ohne Echo. die Herrschenden beobachten aufmerksam seine Arbeit. Schließlich kommt er auf eine schwarze Liste. Singen darf er nun nicht mehr. Verhaftet wandert er durch acht Gefängnisse.

Wieder in Freiheit, begibt er sich ins Exil nach Frankreich. In Paris wird er Freund Picassos und des Dichters Paul Eluard. Er lernt Edith Piaf kennen, die zu dieser Zeit im Zenit ihres Ruhmes steht. An Ihrer Seite wird er im legendären »ATENEO« über Nacht ein Star, Konzerte in Europa und Japan folgen. In Paris entsteht die erste Langspielplatte El Payador Perseguido (Der verfolgte Sänger) mit 120 von 726 Milongas, vorgetragen in rezitativer Form mit sparsamer Gitarrenuntermalung. Felix Luna, sein spanischer Biograph, sagt über die Dichtung: »Es ist eine gaucheske Kosmogonie, in der sich Autobiographisches mit der Meditation über verschiedene Dinge des Lebens mischt, und zwar in einem Tonfall, der vom Dramatischen, Erzählerischen, von nostalgischen Erinnerungen bis zur Ironie reicht.«

Nach Perons Sturz kehrt Yupanqui 1953 in die Heimat zurück, an die Quelle seiner Poesie und Musik. Tourneen durch Argentinien, Lateinamerika und immer wieder Europa und Japan erschließen ihm ein begeistertes Publikum. In der Heimat folgen viele Künstler seinem Beispiel. Yupanquis Lieder werden zum Gut ganz Lateinamerikas. Er ist der Meister, der Inspirator, er wird zum Initiator des Folklorefestivals von Cosquin bei Cordoba, dem seither wohl wichtigsten folkloristischen Ereignis des Landes. Ein Beispiel seiner ungebrochenen Schaffenskraft mag sein Vorhaben sein, daß er in diesem Jahr, zwischen zwei Auftritten in Zürich und Erlangen, die nur drei Tage auseinanderliegen, mal eben zur Eröffnung des Festivals in Cosquin jetten wollte und nur auf dringendes Anraten seines Veranstalters davon abzubringen war.

Atahualpa Yupanqui — welche Musik eines Namens. Wie kaum einer kennt er das Schweigen. Deshalb beherrscht er vollkommen das Wort. Yupanqui sprach von den Mysterien der Pampa, des Urwalds und der Gebirge. Seine Lieder handeln von der getretenen Kreatur, von der Kargheit, aber auch der Schönheit der Landschaft, die sie formt. Von der Ausbeutung durch die Herren und der Hoffnung, die die Kinder bedeuten. Ralf Berger

Heute abend spielt Atahualpa Yupanqui in der Passionskirche am Marheinekeplatz in Kreuzberg. Wann genau, wissen wir leider auch nicht.

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