: Gold-Dorf Granstedt
■ 166 Einwohner pflanzten und werkelten sich zum Bundessieger
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mit Ortsschild Granstedt
Alle zwei Jahre werden Deutschlands schönste Dörfer gekürt: Über 5.000 Orte bewarben sich 1991 für den Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. Ein langer Weg über Bezirks-und Länderebene führt zur Bundesausscheidung des vom Bonner Landwirtschaftsministerium ausgeschriebenen Wettbewerbes — 43 Dörfer schafften es. Und zehn gewannen eine Goldmedaille. Eines von ihnen: Das Dorf Granstedt, Gemeinde Selsingen, südlich von Bremervörde.
Wie ausgestorben war Granstedt Ende letzter Woche: „Die sind alle in Berlin!“ heißt es am Telefon. Einhundert von 166 EinwohnerInnen, „Moment, seit ein paar Tagen sind es 167, es gab nämlich Nachwuchs!“, sind zur Preisverleihung ihrer Goldmedaille auf der Grünen Woche in die Millionenstadt gefahren — für viele war es das erste Mal.
Am Sonntag darauf steht das Telefon bei den Papes nicht still. „Mensch, das ist ja so wunderschön gewesen“ — Ulrike Pape nimmt einen Dankesanruf nach dem nächsten entgegen. Im breitesten Plattdeutsch berichtet einer der Berlin-Reisenden telefonisch Opa Pape, der vor der Eingemeindung Bürgermeister war: „Granstedt hat alle ausgestochen!“ Jau, einer habe schließlich hierbleiben müssen, das Vieh versorgen.
„Tja, hier ist halt immer Zentrale“, meint Ulrike Pape, „wenn jemand eine Idee hat oder etwas ist, das landet bei uns.“ Schwie
rigkeiten mit der NachrichtenVerbreitung gibt es in den vierzig Häusern Granstedts sowieso nicht — „hier geht immer alles in Windeseile rum.“ So auch die Idee, daß man doch mal wieder am Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ teilnehmen könne: Seit 1963 haben es die GranstedterInnen schon elfmal versucht, sind aber nur einmal bis auf Landesebene durchgedrungen. „Und dann packte uns der Ehrgeiz: Wir wollen nach Berlin! „ lacht Ulrike Pape. „Das war zuletzt wie so'n Rausch — hier waren alle total verrückt.“
„Aufgeräumt und so“ wurde das „Haufendorf“, so die offizielle Bezeichnung, schon 1963. Pluspunkte hat das gut 1.000 Hektar große Granstedt mit seinen zwei Gewerbebetrieben und dem Ferienhof, wo sonst fast nur Landwirtschaft betrieben wird, mit seiner „dörflichen Geschlossenheit“ gemacht, heißt es in der offiziellen Begründung. Da gibt es nicht nur die alten, eng belassenen Kopfsteinpflaster-Wege im Dorf, einen alten Eichenbestand, Einheit von Fachwerk- und Steinbauten, gepflegten Rasen und gepflegte Misthaufen, sogar die Bus-Wartehäuschen sind stilvoll gestaltet, und das Dach des Geräteschuppens auf dem Friedhof wurde extra neu schindelgedeckt. Einen Sonderpreis heimste Granstedt für die Erhaltung und Pflege von Lebensräumen gefährdeter Pflanzen und Tiere.
„Wie blöd gepflanzt haben wir hier“, erzählt Ulrike Pape, „insgesamt über 6.000 Pflanzen.“ Darunter auch selten gewordene Obstsorten. Die richtigen Tips hat der Baudirektor des Kreises gegeben: Ulrich Nickel, „unser Dorfverschönerungsprofessor“. „Und der hat das auch so richtig drauf: Der geht zu den Leuten und erzählt ihnen, 'Mensch, du mit deiner komischen blauen Zypresse da', daß die schon selber meinen, das muß jetzt da weg!“ Ehrenbürger ist der Baudirektor mittlerweile, „so richtig mit'm Säbel dazu geschlagen.“
„Klar waren auch Leute dabei, die haben zuerst nicht mitgemacht.“ Überzeugungsarbeit war trotzdem nur manchmal nötig, dann hätten fast alle mitgezogen. Ein Hof ganz offensichtlich nicht: Wie aus dem Ei gepellt liegt der Backsteinhof da, quadratisch, praktisch, gut und ohne Grün. Ganz wie ein Bundessieger aus den sechziger Jahren, denn da war sowas gewünscht: „Früher“, erinnert sich Johann Brandt, einer der besonders Aktiven, „da haben wir am Tag, bevor die Kommission kam, noch überall Rasen gemäht. Heute wollen die Wildwiesen haben und Brennesseln: Naja, da haben wir halt so eine Ecke mit Brennesseln gelassen.“ Auch wenn sich manche Nachbardörfer jetzt darüber lustig machen.
Brandt selber muß jetzt mit dem Trecker immer einen Umweg zu seinem Misthaufen fahren: „Vorher bin ich immer über die Straße weg, da blieb dann der Dreck liegen. Jetzt gehts hintenrum, ist zwar 'n büschen komplizierter, aber naja...“ Diverse Zentner Kartoffel hat Brandt in den Wettbewerb investiert: Als Leute vom Nachbarhof ihren häßlichen Silo nicht streichen wollten, hat er ihnen kurzerhand fünf Zentner angeboten, damit er das machen darf...
So mancher Gartenzaun hat den Wettbewerb nicht überlebt: Der wurde gegen ortstypische Steineinfriedungen ersetzt. „Total hin und weg waren die Leute von der Kommission ja von Hof- Pflasterung“, erzählt Ulrike Pape. Die hat ein Lebensbaummotiv — unter anderem, damit der Anhänger des Treckers gerade vor die Scheune gefahren werden kann. „Denen habe ich dann 'ne nette Geschichte dazu erzählt, als es mit 20 Mann auf der Kutsche durchs Dorf ging: Richtig auf unsere Seite haben wir die gezogen. Och, wenn das ordentlich eng wird und 'n büschen warm, dann kommt Stimmung auf...“
„Bürgerschaftliche Aktivitäten und Selbsthilfeleistungen“ ist einer der fünf Kriterien, der von der Kommission bewertet werden. „Bei uns ist noch nie jemand ins Altersheim gekommen, da kümmern sich die Nachbarn eben mit drum.“ Nachbarschaft wird hier überhaupt großgeschrieben, im kleinen Granstedt gibt es weder Kneipe noch Kirche noch Kaufladen.
Dafür aber eine Freiwillige Feuerwehr, in der mindestens ein Mann aus jedem Haus Mitglied ist, ein Dorfgemeinschaftshaus, Altennachmittage, einen „Knüddelklub“ und eine Theatergruppe. Die spielt in der großen Diele eines Hofes, einmal für die Alten, einmal für die Jungen, „damit die Alten dann auf die Kinder aufpassen können.“ Viele Aktivitäten sind durch den Wettbewerb wieder aufgelebt. Und für ein „Granstedter Kochbuch“ hat jedes Haus seine besten Rezepte rausgerückt.
„Wer bei uns in der Gemeinschaft mitmachen will, der kann das auch,“ erzählt Katharina Gerken, die in einem denkmalgeschützten Niedersachsenhaus lebt. Doch, neulich sei auch mal jemand weggezogen, mit dem sei man halt nicht so klargekommen. Aber sonst... „Als hier mal ein Professor ins Haus kam, hat der sich richtig gewundert, daß ich überhaupt einen Fernseher habe“, lacht sie. „Ja, leb' ich denn hinterm Mond?“ Komisch sei das aber doch, wenn man mal Nachrichten guckt oder nach Bremen zu Besuch ist: „Hier im Dorf ist halt doch alles anders...“ Susanne Kaiser
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