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Ich war der Mann hinter Till Meyer!

■ Bekenntnisse des Westberliner Underground-Poeten und Dramatikers Michael »Arschloch« Stein

Wir haben lange gezögert, die schonungslose Beichte Michael Steins zu veröffentlichen. Erstens wird die Intimsphäre einiger prominenter taz-Mitarbeiter verletzt, und zweitens hatten wir gerade die Turbulenzen um Till Meyer halbwegs überstanden und waren nicht sicher, ob wir nicht damit mehr schaden als nützen würden, allzumal die Methode des »Outing«, die Stein konsequent anwendet, nicht nur bei Schwulen problematisch ist.

Aber die Echtheit der Dokumente, die Glaubhaftigkeit des ehemaligen Stasi-Mitarbeiters Stein und unsere journalistische Verpflichtung der demokratischen Öffentlichkeit gegenüber gaben den Ausschlag zur Veröffentlichung.

Darüber hinaus ist der Text ein erschütterndes Dokument über den Ich- Verlust eines Künstlers, der Opfer seiner gewiß nicht sympathieerweckenden sexuellen Neigungen wurde.

Ich bekenne: Ich war auch dabei. Nicht nur als IM — nicht nur als kleiner, unbedeutender inoffizieller Mitarbeiter. Damit hatte es zwar angefangen, vor rund zwölf Jahren. Aber als ich im Dezember 89 den Dienst quittierte, war ich im Rang eines Hauptmannes der Staatssicherheit, ein OibE, ein Offizier im besonderen Einsatz. Ich war der Hauptabteilung XXII unterstellt. Mein Führungsoffizier, ein Major mit dem Decknamen »Kinsky« — ich habe seinen wahren Namen nie erfahren — traf sich mit mir in der Regel in Ost-Berlin, und zwar meist in der Dunckerstraße 38, in einer Wohnung, die auf einen gewissen Wolfgang Marotzke angemeldet war. Soviel zu den üblichen Fakten.

Warum aber, und das ist die zentrale Frage, kommt einer wie ich dazu, für »Memphis« zu arbeiten? Einer, der damals schon kein Kommunist mehr war, kein Freund der DDR, ja, ihr sogar feindlich gegenüberstand? Es ist kein Geheimnis, daß gerade im Journalistenmilieu sehr effektive Geheimdienstarbeit geleistet wird (siehe entsprechende Literatur, zum Beispiel »Geheim«, Okt. 85). Die Nähe zwischen Nachrichtenagenturen und Nachrichtendiensten ist keineswegs nur eine nominelle. Das liegt an der verwandten Struktur und Aufgabenstellung beider Nachrichtenorganisationen. Informationen sammeln, verarbeiten und gezielt weiterverbreiten kann man als Journalist und als Agent. Man betreibt praktisch Doppelverwertung bei gleichem Arbeitsaufwand. Als Journalist ist man ein idealer Einflußagent, ein opinion-leader, besonders als Kampfjournalist. Ich recherchierte und operierte in einem. Beispielsweise in der Operation »Robbensterben«, einer gezielten mehrjährigen Kampagne gegen Wolf Biermann (siehe Faksimilie).

Ich gestehe, mich hatte vor allem das Agentenleben gereizt. Mir ging es dabei wie Till Meyer, der ja nichts anderes machte, als seine Jugendträume zu realisieren: er war Räuber mit Pistole, ein-Entführer-läßt-grüßen!, Knastausbrecher, rasender Reporter und eben auch Geheimagent. Und das alles auch noch für eine gute Sache. O.K., das war sein Ding. Ich war kein Kommunist. Aber ich war ein negativer Typ und wollte gerne Schaden anrichten, bevorzugt bei Leuten, die ich nicht leiden konnte.

So ging ich schließlich 87 zur taz. Ich sollte die Arbeit von Till flankieren und gleichzeitig destabilisierend auf das Redaktions-»kollektiv« einwirken. Bei dieser Arbeit war mit Wiglaf Droste sehr behilflich, der mir seine TV-Seite zur Verfügung stellte und ohne zu wissen, mit wem er es in Wirklichkeit zu tun hatte, mir einmal erzählte, daß er gerne für die Stasi arbeiten würde, »aber die haben mich nicht genommen«. Ich habe ihn später eingeweiht, und so ist er wenigstens auf diese Weise mit der Stasi in Kooperation gekommen. Ich glaube, er war sehr stolz darauf. Wir haben in der Folgezeit noch häufig zusammengearbeitet, nicht nur in der taz, sondern auch auf der 'Titanic‘: Bei »Drecksäcke bekennen: Ich bin ein Berliner!«, einer einzigen Lobhudelei auf das verbrecherische SED-Regime, hat — um im taz-Jargon zu sprechen — »die Stasi die Feder geführt«; daß Karl Eduard von Schnitzler eine Kolumne in 'Titanic‘ bekam, war das Ergebnis einer sauber eingefädelten Aktion von Kinsky, Till und mir: wir mißbrauchten den politisch labilen Künstler Max Goldt dazu, seinen Kollegen in der Frankfurter Redaktion Sudel-Ede als satirischen Knaller anzudienen.

Aber der konnte gar keine Satire schreiben, statt dessen versuchte er, die Propagandalügen vom »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« zu verkaufen. Und das mit seinem Gesicht! Als der Schwindel aufflog, haben sie ihn gleich entlassen.

Tief im Herzen Autonomer

Die Aktionen von Till und mir waren zwischen Major Kinsky und Oberstleutnant Helmut Voigt, Tills Führungsoffizier, abgesprochen. Till und ich wußten, daß außer uns noch mindestens zwei weitere tazler dem MfS zuarbeiteten, aber wir kannten sie nicht. Die Abteilungsleiter in der Normannenstraße legten aus Sicherheitsgründen Wert darauf, daß ihre Agenten sich untereinander nicht identifizierten.

Ich versuchte, die beiden zu finden. Damit verstieß ich klar gegen die Anweisungen von Kinsky, aber ich wollte noch mein eigenes Spiel spielen. Schließlich war ich tief im Herzen Autonomer. Heute weiß ich, daß nicht ich mit der Stasi gespielt habe, sondern die mit mir. Es ist eine höchst dumme Art von Selbstüberschätzung, als kleiner Scheißer die großen Scheißer herausfordern zu wollen. Das »Memphis« wußte einfach, tausendfach vernetzt, verdammt besser bescheid als du.

Dennoch — ein Gutes hatte die Sache: Ich kenne heute die Namen und werde sie auch noch nennen. Dies als kleine Entschädigung dafür, daß ihr mit mir jahrelang eine Natter an eurer Brust genährt habt [Das heißt in dem Fall wirklich: Busen, ihr halbverbildeten Spitzel! d. säzzer] — wenn es denn überhaupt eine Entschädigung dafür geben kann, die Schuld werde ich ein ganzes Leben lang mit mir tragen. Ich habe euch menschlich enttäuscht und verstehe eure Wut, eure Hilflosigkeit, euren Schmerz nur zu gut. Ich bitte um Vergebung. Ich weiß, ich hätte schon früher damit an die Öffentlichkeit gehen müssen, aber ich habe mich geschämt, geschämt dafür, was ich habe machen müssen, ja, wie ich zunehmend daran Gefallen fand, was ich tat, wie ich später ganz freiwillig dem Honecker- Mielke-Regime zuarbeitete, ohne Scham, mit wachsender Lust auf Menschenverachtung und Zynismus.

Nur manchmal, nachts, wenn ich noch wach im Bett lag, ergriff mein altes Ich noch einmal Besitz von mir, ich schämte mich und machte mir Vorwürfe, aber es war nur noch wie ein ferner, schwacher Nachhall einstmals starker Gefühle für eine anständige menschliche Moral. Die Stasi hatte mein Ich zerfressen, zersetzt, ich war im Seelen-KZ DDR eingefangen, wie alle, die sich damit arrangierten.

So blöde, wie Geile eben gucken/...

Es begann im Sommer 80. Ich hatte mich gerade in einem sehr schmerzhaften Trennungsprozeß vom Marxismus-Leninismus gelöst und wollte ein letztes Mal die DDR besuchen. Unweit von dem Hotel, wo ich für zwei Wochen einquartiert war, befand sich ein FDJ-Ferienlager, das ich ein paarmal besuchte. Irgendwie muß einem der Jugendleiter mein Interesse für pubertierende Jungs aufgefallen sein, und das Schicksal wollte es, daß dieser Leiter, wie ich später erfuhr, Stasi-Offizier war.

Erich, ein 13jähriger zarter Knabe und sein Kamerad Karl, hatten sich mit mir in ihrem Zelt verabredet, zu einem Gespräch über die Zukunft des Sozialismus, wie wir es nannten. Die Mehrheit der FDJ-Leiter bestand aus Päderasten, und ich tat nichts Außergewöhnliches, als ich Klein-Erich das junge Glied massierte und mir dabei von Karl einen blasen ließ. Ich schenkte jedem dafür eine von diesen 10-Mark-Digital-Billig-Uhren von Eduscho, die Jungs waren ganz versessen auf diesen Klunker und waren zu allem bereit. Ich möchte aber betonen, daß ich immer sehr anständig war und keine perversen oder brutalen Sachen verlangt habe.

Just in dem Moment, als ich abspritzte, blitzte mehrmals ein Fotoapparat ins Zelt. Ich fuhr entsetzt hoch, und die beiden Jungs verdrückten sich kichernd, aber ohne ein Wort zu sagen. Mir dämmerte, daß ich in eine Falle getappt war. Wie konnte ein Arbeiter-und-Bauern-Staat sich solcher schmutzigen Tricks bedienen und dazu auch noch junge unschuldige Menschen benutzen? Meine Ablehnung des Kommunismus wurde einmal mehr bestätigt. Was die Aktion bezweckte, wurde mir am nächsten Tag klar, als sie mir in der Zelle die Fotos vorlegten. Darauf sah man einen Mann mit ausgesprochen blödem Gesichtsausdruck — halboffener Mund und halbgeschlossene Augen fügen sich zu einem Bild zwischen ekstatischer Verzückung und Debilität — so blöde, wie Geile eben gucken. Mein Gesicht war mir jedenfalls peinlicher als die verfängliche Situation.

»Sie wissen, daß Sie dafür mindestens fünf Jahre aus dem Verkehr gezogen werden können?« fragte der Stasi-Mann.

»Ja.« Ich zeigte keinerlei Regung.

»Gut. Ich glaube jedoch, daß wir einen anderen Weg finden werden. Sind Sie Kommunist?«

»Das war einmal. Aber ich finde nach wie vor, daß die DDR das bessere Deutschland ist«, schleimte ich ihn an. Seine gleichmütige Antwort traf mich unvorbereitet.

»Deutschland ist immer schlecht. Es gibt kein besseres.«

»Oha... ja.« Der Mann gefiel mir. »Aber ich stehe auf freie, deutsche Jugend. Jungs wie Ernst und Karl werden einmal eine bessere und schönere Welt aufbauen.«

»Das haben Sie gut gesagt. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie arbeiten mit uns zusammen und dürfen mindestens einmal jährlich Ferien in einem FDJ-Lager als Betreuer machen, quasi um die Jungs behutsam in den Sozialismus einzuführen.«

»Und wenn nicht?«

Er zuckte die Schultern. »Wenn Sie uns ein Versprechen geben, das Sie im Westen nicht halten, werden wir die Fotos an die zuständigen westdeutschen Behörden schicken.«

»Gut. Sie haben mich überzeugt.«

»Tja... der Sozialismus ist eben das überlegene System...«

Was Besseres hätte mir gar nicht passieren können, dachte ich damals. Heute weiß ich, daß man keinen Pakt mit dem Teufel schließen kann, ohne sein Ich an ihn zu verkaufen. Die Stasi hate meine sexuellen Neigungen zur Aufrechterhaltung ihres perversen Regimes mißbraucht. Die ganze DDR ein KZ und Jugendbordell in einem. Ich meine, es war ja nicht alles schlecht drüben, aber das mit dem KZ hätten sie nicht machen dürfen.

In der nächsten Folge:

»Operation Schabrake«

—wie ich Georgia Tornow (Deckname »Mutti«) dazu brachte, die taz unter ihre Fuchtel zu bringen, um die taz endgültig zu desavouieren, und wie der VS diesen Coup verhinderte, indem er »Mutti« einen neuen Job besorgte, bei dem sie keinen Schaden mehr anrichten konnte — als präklimakterische Talk-Tante;

—wie sogleich der nächste IM auf der Matte stand: Deckname »Hartung«. Wir dachten erst an Klaus Hartung selber, aber der hieß ja »Quark«. Erst beim weiteren Studium der Akten kamen wir drauf: an anderer Stelle wird »Hartung« auch als »Hasenscharte« geführt — natürlich: Christian Semler! Wir hatten ihn eh schon im Verdacht, damals noch als KPD- Oberbonzen, daß er im Auftrag der DDR-Revisionisten saudumme Artikel »Für den Sieg im Volkskrieg« schrieb, um die maoistische Bewegung zu diskreditieren.

Jetzt schreibt er saudumme Artikel für — oder besser: gegen — die andere Seite, die Konservativen, »für« Kroatien, »für« die osteuropäische Revolution, »für« Menschenrechte in China, und so weiter. Obwohl er kein Geld mehr von der Stasi kriegt, schreibt er weiter und weiter und weiter und weiter — sein Programm ist durchgeknallt: ein von seinem Herrn verlassener Schreibtisch-Cyborg...

—Wie die IMs Klaus Nothnagel, Cluse Krings und Dr. Seltsam auf PDS-Wahltour gingen — zu einem Zeitpunkt, als ich schon lange dem MfS den Rücken gekehrt hatte, wurde ich nochmals unwissentlich von »Memphis« funktionalisiert — als Mitglied der Höhnenden Wochenschau. Die »Firma« läßt dich nie mehr los, einmal dabei, immer dabei. Nur der Schritt an die Öffentlichkeit — die Flucht nach vorn — birgt eine kleine Chance, der Krake zu entkommen. Dr. Seltsam ist übrigens selbst ein Opfer der Stasi, auch wenn er das nicht wahrhaben will: Charité-Ärzte injizierten ihm vor Jahren ein wachstumshemmendes Hormon, um eine geistige Weiterentwicklung zu verhindern. Der Mann ist immer noch Kolumnist auf dem Stand von 1976...

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