: Singen, singen, singen
Eine CD erinnert an Inge Brandenburg ■ Von Elmar Kraushaar
Inge Brandenburg, eine Nicht-Karriere. So schrecklich typisch für die deutsche Unterhaltungsbranche, in der Talent und Stimme schwere Handicaps sind auf dem Weg nach oben. Die wirklich Guten, die Besten bleiben außen vor. So wie Edo Zanki und die Mannheimer Hausfrau Erna Strube, bekannt als Joy Fleming. Und wie Inge Brandenburg. Ihre Platten werden auf einschlägigen Börsen noch als Raritäten gehandelt, gelegentlich verirren sich Aufnahmen von ihr ins Nachtprogramm. Ansonsten herrscht Funkstille. Erst im siebzehnten Jahr seines Bestehens hat Bear Family Records, hierzulande das Label für Wiederveröffentlichungen, eine CD herausgebracht, die das besondere Talent der Brandenburg resümiert. Die Sängerin selbst zieht ihre Bilanz heute ganz ohne Bitterkeit. Sie lebt in München, hat hin und wieder kleine Rollen in irgendeiner Fernsehserie, das Singen bereitet ihr Schwierigkeiten nach einer Stimmbandoperation vor drei Jahren. „Eine Zeitlang habe ich sehr gelitten, daß es nie so recht geklappt hat“, erinnert sie sich.
Dabei sah es anfangs ganz gut aus: Nach ihrem ersten großen Auftritt beim deutschen Jazzfestival 1958 in Frankfurt überschlugen sich die Kritiker vor Begeisterung. 1960 auf dem Jazzfestival in Antibes wird sie zur besten Jazzsängerin Europas gekürt, ein paar Wochen später gewinnt sie mit dem deutschen Team das Festival im belgischen Seebad Knokke. Zehn Jahre harter Arbeit lagen da schon hinter ihr.
1949 hatte sich die ausgebildete Dekorateurin bei einer Augsburger Tanzkapelle beworben, ausgerechnet mit Sah' ein Knab ein Röslein stehn, ganz ohne Begleitung. Dem Bandleader gefiel's, und er schickte sie zum Test auf die kleine Bühne des amerikanischen „Cross Road Club“. Die US-Soldaten waren begeistert. Inge Brandenburg wurde Sängerin.
Das wollte sie schon immer, soweit sie sich zurückerinnern kann: „Mit vier habe ich jeden Schlager mitgesungen.“ In Leipzig war das, wo die Brandenburg geboren wurde. In Heimen in Dessau und Bernburg wuchs sie auf. Ihr Vater war Kommunist, wurde inhaftiert und kam 1941 im Konzentrationslager Mauthausen um. Ihre Mutter wurde noch vor Kriegsende wegen staatsfeindlicher Äußerungen festgenommen und starb im KZ Ravensbrück. Dann war der Krieg zu Ende. 1949 wechselte Inge Brandeburg über in den amerikanischen Sektor nach Hof. Sie jobbt und wartet auf ihre Chance.
Der Erfolg im „Cross Road Club“ verhilft ihr im Februar 1950 zum ersten Engagement, Monatsgage 170 D-Mark. Alles, was sie singt, bringt sie sich selbst bei. Sie kann keine Noten lesen und kein Englisch, die Texte der Songs von Peggy Lee, Judy Garland oder Ella Fitzgerald erfaßt sie ganz nach Gefühl und notiert sie in einer nur ihr verständlichen Lautschrift. Nach und nach bringt sie es auf ein Repertoire von mehr als 2.000 Titeln. Alles, was in den fünfziger Jahren gehört werden will, ist dabei: Blues, Hillbilly, Schlager, Jazz. Mit diesem Programm geht sie tingeln — vornehmlich durch amerikanische Nachtclubs, die beste Showschule der Zeit. Die GIs nennen sie „Brandy“. 1957 geht Inge Brandenburg nach Schweden, neben Frankreich die europäische Jazzhochburg. Vier Wochen wollte sie bleiben, der Erfolg machte acht Monate daraus. Die letzte Teststrecke vor dem Durchbruch in Frankfurt, in Antibes, in Knokke. „Das größte Talent, was wir je hatten“, heißt es wenig später in den Zeitungen, und: „Eine ungewöhnliche Begabung, die auch das beherrscht, was die wenigsten europäischen Jazzsängerinnen können: Blues singen.“ Die Musik aus dem fremden Amerika hat endlich eine Stimme im Land.
Leben kann man davon nicht. Inge Brandenburg unterschreibt Plattenverträge, erst bei der Teldec, dann bei Polydor, dann bei CBS. Der Deal: Zunächst ein paar flotte Schlager fürs Geschäft, dann Jazzsongs für die Begabung. Und so singt sie Chrysanthemenblues und Tiger Twist, Südlich von Hawai und Amateur d'Amour. Schlagerkitsch im Zeitgeist. Gekonnt macht sie das, fast zu gut.
Flotte Rhythmen, mit denen Jeans vermarktet werden, Idole, deren Reime die Stimmungen der kurzen Teenagerzeit einfangen, haben Konjunktur in den Fünfzigern. Künstlerischer Eigensinn dagegen ist weniger gefragt, und so vergessen die Plattenbosse ihr Versprechen für die Jazztitel. Die Künstlerin klagt, erst gegen Polydor, dann gegen CBS, auf Einhaltung der Verträge. Sie gewinnt nicht und verliert nicht, es endet im Vergleich vor Gericht mit der einen und der anderen Firma.
Wer sich mit den Großen anlegt, ist unbequem. Die kommerzielle Karriere der Inge Brandenburg ist vorbei, kaum daß sie begonnen hat. Erst die Jahre mildern die Enttäuschung: „Ich war damals noch nicht so selbstsicher“, sagt sie heute, „und hatte überhaupt keinen Einfluß bei der Auswahl.“
Auf den Ausflug in die leichte Schlagerwelle folgen — von Jazzkritikern hämisch begleitet — mühsame Jahre der Neuorientierung. 1967 eine Tournee mit Wolfgang Dauner durch die deutschen Uni-Städte, hier und da ein Konzert, mit Klaus Doldinger oder Slide Hampton, auch Dexter Gordon. Schließlich wechselt die Künstlerin die Bühne, geht zum Theater. Im Berliner Forum- Theater spielt sie in Jack Gelbers Der Apfel, 1968 in Nürnberg in der deutschen Premiere desVietrock, wieder in Berlin am Schiller-Theater die „Erste Hexe“ in Shakespeares Macbeth. 1971 singt Inge Brandenburg in George Taboris Vietnam-Messe Pinkville, Volker Ludwig wollte für seine deutschen Texte eine Stimme wie die der Fitzgerald.
Das ist engagiert und ehrenwert. Doch eine, die so durch die Genres jagt und die verschiedenen Welten, will keiner halten. Die Engagements und Auftritte werden spärlicher, noch zweimal Theater in Schleswig- Holstein, Seid nett zu Mr.Sloane und Kleiner Mann, was nun?, daneben ein paar religiöse Lieder auf Benefizplatten für „Brot für die Welt“, noch einmal 1974 ein Jazzfestival, diesmal in Würzburg. An ihren letzten Auftritt erinnert sich die Brandenburg genau: „Das war 1985 in der Frankfurter Brotfabrik.“
Die jetzt vorliegende CD ist eine Herausforderung: Wer die eine will, muß auch die andere hören. Da moduliert Inge Brandenburg bei Klassikern wie All of me oder Don't take your love die Töne wie immer sie will, mal ganz heiser und dann wieder ganz rein, begibt sich mit Titeln wie Es ist doch immer wieder schön oder Das gibt es nur einmal ganz in die Nähe der Gattung, die man Chanson nennt, wird schlagergewöhnlich mit Um Mitternacht und Ein Mann ist ein Mann und endet schließlich im Duett mit Fats bei amateurhaften Beatrhythmen.
Da ist sie wieder, die Reise durch alle Stilarten — und wird doch von einer Stimme geführt, die einzig bleibt. Die gut sein will bei allem, was sie sich vornimmt, weil es ihre Leidenschaft ist. „Mir kam es auf meine Musik an“, sagte sie, „ich wollte immer nur singen, singen, singen.“ Das hat sie gemacht wie kaum eine zweite hierzulande.
Inge Brandenburg: All of me , Bear Family Records, BCD 15614 AH.
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