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Boris und George werden Partner

US-Präsident Bush und der russische Präsident Jelzin erklären in Washington das endgültige Ende des Kalten Krieges/ Historisches UNO-Treffen in New York erwies sich als „ein Tag der luftigen Reden“  ■ Aus Washington Rolf Paasch

„Wir sagen jetzt Boris und George zueinander“, so beschrieb Boris Jelzin am Samstag nicht ohne Stolz die neue Partnerschaft der beiden einst rivalisierenden Supermächte. Und nach Abschluß seines dreieinhalbstündigen Gesprächs mit US-Präsident Bush auf dessen Ferienwohnsitz in Camp David konnte der russische Präsident mit seinem Wochenend- Trip in die USA durchaus zufrieden sein. Am Freitag hatte er als Vertreter Rußlands offiziell den Sitz der Sowjetunion im Nationalen Sicherheitsrat der UNO übernommen. Am Samstag durfte er mit George Bush ganz informell im Winterpullover auf dessen Landsitz parlieren. Damit war Jelzin nach all den Zweifeln der Amerikaner an seiner Zuverlässigkeit und Nüchternheit nun von Präsident George Bush endlich als offizieller Nachfolger des abgetretenen Gorbatschow anerkannt worden.

Jelzin brachte in Camp David auch wieder seine neuesten Abrüstungsvorschläge vor, die den USA derzeit noch als zu weit gehend erscheinen: eine Reduktion der Atomwaffensprengköpfe auf ungefähr 2.500 und eine Zusammenarbeit beider Länder bei der Schaffung eines Weltraumschutzschildes gegen mögliche Nuklearattacken neuer Atommächte. Nach den von Bush in der letzten Woche vorgestellten Abrüstungsplänen blieben dem US- Atomwaffenarsenal dagegen noch rund 4.700 nukleare Sprengköpfe erhalten, ungefähr so viele wie 1971 vor Abschluß des ersten START- Vertrages über strategische Waffen.

Auch bei Jelzins schon am Freitag vor der UNO unterbreiteten Vorschlag einer Kooperation auf dem Felde der „Strategischen Verteidigungsinitiative“ (SDI) hält sich die Bush-Administration vorerst noch bedeckt. Noch scheint Washington unklar, ob die Kehrtwende Jelzins in Sachen SDI auch eine Bereitschaft Rußlands signalisiert, über den in gewissen US-Kreisen schon lange unbeliebten ABM-Waffen-Vertrag zu verhandeln. Erst am Mittwoch hatte Bush in seinem neuen Haushaltsentwurf eine Aufstockung des von Ronald Reagan geschaffenen Sternenkriegsbudgets um eine weitere Milliarde Dollar angekündigt. Auch die von Jelzin vorgeschlagene SDI- Koordination der beiden ehemaligen Gegner war ursprünglich eine Idee Reagans.

Der russische Präsident scheint sich von einer technologischen Kollaboration bei SDI vor allem politische und wirtschaftliche Vorteile zu versprechen, wenn nicht gar ein komplettes Beschäftigungsprogramm für seine arbeitslosen Atomwissenschaftler. „Wenn wir diesen 3.000 Spezialisten und Experten Arbeit geben“, so hatte Jelzin bereits am Freitag auf einer Pressekonferenz erklärt, „werden sie nicht mehr den Wunsch haben, ins Ausland zu gehen.“ Bush gab daraufhin in Camp David zu erkennen, daß die USA möglicherweise zur Eröffnung eines Forschungszentrums bereit sein werden, in dem US-Wissenschaftler mit rund 2.000 russischen Atomexperten zusammen arbeiten könnten.

Einzelheiten darüber und über auseinandergehende Vorstellungen der nächsten Abrüstungsschritte sollen noch im Februar von US-Außenminister Baker in Moskau erörtert werden. Zwei weitere Gipfeltreffen zwischen Bush und Jelzin — im Frühjahr in Washington und später in Moskau — sollen die Verhandlungen über weitere Abrüstungsmaßnahmen beschleunigen helfen.

Im Zeichen einer verstärkten internationalen Kooperation hatte auch das erste Treffen der Regierungschefs aller 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrates am Freitag in New York gestanden. Bush, Jelzin und die anderen Führer hatten den neuen UN-Generalsekretär Boutros Ghali in ihren Reden aufgefordert, bis zu Sommer Vorschläge zu einer Stärkung der Vereinten Nationen vorzulegen, um damit zukünftigen Konflikten besser vorbeugen zu können. Konkrete Schritte zur Aufwertung der UNO oder gar zur Lösung ihrer drängenden Finanzprobleme wurden allerdings nicht ergriffen.

Das vom britischen Außenminister John Major einberufene Treffen verkam denn auch eher zu einem „Tag der luftigen Reden“, wie es die 'New York Times‘ formulierte. Während sich Major kurz vor den britischen Wahlen im internationalen Rampenlicht sonnen wollte, erinnerte Präsident Bush erneut an die Rolle der UNO im Golfkrieg; auch dies, um dem heimischen Wählervolk noch einmal seine ruhmreichste Stunde in Erinnerung zu rufen.

Getrübt wurde das Klima der globalen Zusammenarbeit lediglich durch ein frostiges Treffen zwischen Bush und dem chinesischen Premier Li Peng. In der ersten höchstrangigen US-chinesischen Begegnung seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Juni 1989 erklärte Bush seinem Gegenüber, die chinesische Menschenrechtspolitik sei für die USA „unzureichend“. Li Peng antwortet darauf mit den gleichen Worten wie in seiner Rede vor der UNO: China sei gegen alle Einmischungen in die internen Angelegenheiten anderer Länder unter dem Vorwand der Menschenrechtsdiskussion. In dem ebenfalls am Freitag veröffentlichten Jahresbericht des State Department an den Kongreß wird China erneut für seine „repressiven Praktiken“ verurteilt, die nach Ansicht der US-Diplomaten „deutlich gegen die international akzeptierten Normen verstoßen“.

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