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Der türkische Mittelstand ist nicht mehr wegzudenken

■ Türkische Unternehmen gehören seit Jahrzehnten zum Bild der Stadt/ Ihre Zahl ist bis heute unbekannt/ Familienstrukturen als wirtschaftliche Basis/ Viele kennen Senatsfördermaßnahmen nicht/ Noch wenig Betriebe in Ost-Berlin/ Mehrzahl der Betriebe im Handel- und Gaststättengewerbe

Berlin. Rund 140.500 Türken leben in Berlin. Sie sind, weit vor den Jugoslawen und Polen, die stärkste Gruppierung unter den ausländischen Mitbürgern. Ihre Dönerbuden, Obst- und Gemüseläden, Restaurants, Bäckereien und Reisebüros gehören in einigen Stadtteilen mittlerweile zum vertrauten Bild. Obwohl sie eine kleine, aber feste Größe im wirtschaftlichen Leben Berlins spielen, ist ihr genauer Bestand bis heute unbekannt.

Einzig die Daten des Statistischen Landesamtes über die An- und Abmeldungen von Gewerbetreibenden und die der Handwerkskammer können darüber annähernd Auskunft geben. Demnach gibt es von Jahr zu Jahr immer mehr türkische Selbständige: Von 1981 bis zum dritten Quartal vergangenen Jahres stieg die Zahl der Netto-Anmeldungen (bezeichnet die Differenz zwischen An- und Abmeldungen) von 455 auf 3.902 Betriebe. Ähnlich die Daten der Handwerkskammer Berlin: 1987 waren 433 türkische Betriebe gemeldet, im Dezember 1991 schon 615.

Ahmet Ersöz, Mitarbeiter des »Berliner Instituts für Vergleichende Sozialforschung« (BIVS), glaubt, daß die Zahl der Handwerksbetriebe noch größer ist: »Es gibt viele Türken, die in letzter Zeit einen deutschen Paß angenommen haben und daher in der Statistik unter den türkischen Betrieben nicht auftauchen.« Trotz zunehmender Ausländerfeindlichkeit wollen immer mehr junge Türken der zweiten Generation in Berlin bleiben, wie auch Ali Yildirim, Vorsitzender des Vereins »Türkische und Deutsche Kaufleute« (TDK), festgestellt hat. Während Anfang der 70er Jahre viele Türken der ersten Generation Grundstücke in ihrer Heimat gekauft hätten, um die Rückkehr vorzubereiten, sei heute eine gegenläufige Tendenz zu beobachten.

Nach wie vor seien die türkischen Unternehmen ein »geschlossener Wirtschaftskreis«, wie Yildirim, selbst Unternehmer, meint. So gälten denn auch eigene Regeln, die sich von deutschen Geschäftsgebaren unterschieden. »Schriftliche Verträge sind eine Seltenheit, man schließt noch immer meistens per Handschlag.« Und das nicht selten bei Beträgen bis zu 50.000 Mark. Ersöz, der zudem auch im »Beratungs- und Ausbildungszentrum für zugewanderte Gewerbetreibende« arbeitet, hat festgestellt, daß durch ungeklärte Rechtsverhältnisse nicht selten Freundschaften zerstört werden. Sein Tip an die Einsteiger lautet daher: »Verträge abschließen — selbst unter Familienmitgliedern.«

Obwohl sich gerade jüngere Türken mit Hochschulabschluß in Reisebüros, Übersetzungsbüros oder in der Makler-, Versicherungs- und Computerbranche etablieren, bleibt der Dreh- und Angelpunkt der türkischen Wirtschaft in Berlin nach wie vor das Handels- und Gaststättengewerbe. In vielen Bereichen sind sie an die Stelle deutscher Betriebe, die durch große Ketten weitgehend verdrängt worden sind, getreten. Ihr Vorteil ist die Basis, auf der sie wirtschaften: meistens die Familie oder der engste Freundeskreis. 80 Prozent arbeiteten auf der Grundlage dieser Strukturen, schätzt Yildirim. Die Gründe liegen auf der Hand: Die Personalkosten können durch niedrige Bezahlung so gering wie möglich gehalten werden.

Für viele ist die Gründung einer Dönerbude oder eines Ladens auch die letzte Möglichkeit in einer Welt, in der Abschlüsse für den beruflichen Aufstieg unentbehrlich geworden sind. 90 Prozent, so Ersöz, könnten keinen Schulabschluß vorweisen. Ein Großteil war vorher arbeitslos, bevor der Traum des freien Unternehmertums in die Tat umgesetzt wurde. Yildirim beklagt, daß ein Großteil seiner Landsleute wenig von den umfangreichen Fördermaßnahmen wüßten, die der Senat Unternehmen zur Verfügung stelle. Mit ein Grund sei, daß »die Voraussetzungen dafür so schwer sind und die meisten sehr schnell entscheiden und nicht so lange mit der Gründung warten wollen«. Die Gefahr, die Yildirim für viele kleine türkische Betriebe sieht, ist zudem ihre »Unterkapitalisierung«: Für neue Investitionen oder längere Durststrecken ist Geld kaum vorhanden. So machten viele türkische Unternehmer den Fehler, »bei dem kleinsten Anzeichen von Konkurrenzkampf gleich mit dem Preis herunterzugehen«. Vor dem Fall der Mauer existierten beispielsweise vier Dönerproduktionsbetriebe in West-Berlin, mittlerweile sind es zwanzig. Ersöz vom BIVS hat einen regelrechten Preiskrieg ausgemacht: »Die Fleischpreise sind in den letzten Jahren gestiegen, aber die Dönerpreise sind annähernd gleich geblieben.«

Im Ostteil der Stadt haben sich bisher kaum türkische Betriebe niedergelassen. Im Handwerksbereich waren es bis Dezember letzten Jahres ganze drei Betriebe. Das Problem, so Ersöz, sei weniger die dortige Ausländerfeindlichkeit, sondern die Tatsache, »daß es zwar genügend Räume gibt, diese aber nicht vermietet werden«. Severin Weiland

Anfang März wird unter dem Titel »Buyurun — Türkische Unternehmer in Berlin« eine Ausstellung im »Haus der Kulturen der Welt« zu sehen sein. Die taz wird in den kommenden Wochen einige ausgewählte türkische Betriebe vorstellen.

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