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Truffaut zuhören

„Monsieur Truffaut, wie haben Sie das gemacht?“  ■ Von Gerhard Midding

Es gab immer viele Gründe, ihm zuzuhören. Er war ein begeisterter Erzähler, der sich nur selten in Anekdoten verlor. Er war kein Schwätzer, nicht einmal ein Plauderer, sondern ein glühender Propagandist des Kinos: getrieben vom Wunsch des Autodidakten, zu überzeugen und nie um verblüffende und eigenwillige Erkenntnisse verlegen. Die Perspektive des Cineasten bedeutete für ihn keine Flucht aus der Realität, sie war der Rahmen, in dem sich das Leben meistern ließ. Die Art, in der Fran¿ois Truffaut über das Kino sprach und schrieb, vermisse ich beinahe ebensosehr wie die Filme, die er noch hätte machen wollen.

Ein Film war für ihn erst dann abgeschlossen, wenn er das letzte Interview zu ihm gegeben hatte. Dabei hat er es zeitlebens abgelehnt, für eine Buchpublikation im Stil seines klassischen Dialogs mit einem seiner Meister,Mr.Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, Rede und Antwort zu stehen. Die flüchtigeren Formen des Zeitungs- und Fernsehinterviews behagten ihm eher. Eine hübsche Analogie übrigens zu dem Widerstreit zwischen den vorläufigen und den endgültigen Gefühlen, der in jedem seiner Filme aufs neue ausgetragen wird.

Nun ist das Vorläufige etwas endgültiger geworden — und der geneigte Leser muß nicht einmal befürchten, einem Etikettenschwindel aufzulaufen: unter dem allzu naheliegenden Titel Monsieur Truffaut, wie haben Sie das gemacht? ist nun das längste Werkgespräch, das je mit ihm geführt wurde, in Buchform erschienen. Robert Fischer, bereits als sorgfältiger Übersetzer und rühriger Herausgeber von Truffauts Drehbüchern und Briefen ausgewiesen, hat das Manuskript eines zweiteiligen TV-Interviews entdeckt und übersetzt. Ein richtiges Buch ist dabei nur mit einiger Mühe herausgekommen, wobei vor allem das überaus großzügige Verhältnis von Papier und Text hilfreich war. Und der deutsche Titel mag zwar geschickt mit einem Wiedererkennungswert kalkulieren, bürdet dem Buch aber gleichzeitig auch eine lastende Hypothek auf. Nicht allein, weil es weniger um das „Wie“ als vielmehr um das „Was“ und „Weshalb“ des filmischen Erzählens geht. Vor allem, weil der Gesprächsrahmen eine so umfassende wie erschöpfende Auseinandersetzung wie im Hitchcock nicht zuließ. Eine spannende le¿on du cinéma — so der Originaltitel der Fernsehsendung — ist es dennoch geworden.

Die Prämisse des Unternehmens ist ebenso reizvoll wie tückenreich. Jean Collet, neben Jérôme Prieur und José Maria Berzosa einer der Interviewer, beschreibt sie in seinem Vorwort mit einer beinahe Truffautschen Metapher: Man sah sich gemeinsam Szenen an, so „als würde man in einem Familienalbum blättern“, und diskutierte danach. Die Auswahl der Szenen (im Buch mit Hilfe von Standbildern und Dialogauszügen dokumentiert) ist überraschend und orientiert sich kaum am Naheliegenden. Zwar meldet Truffaut regelmäßig massive Bedenken an, ob sich die Ausschnitte wirklich hochrechnen ließen als repräsentativ für die Filme. Andererseits werden sie aber zu nützlichen Stolpersteinen, an denen sich Truffauts Vorliebe fürs Konkrete und seine Skepsis gegenüber Theorie und Verallgemeinerung stoßen.

Eine grundlegende Ironie zieht sich durch das gesamte Gespräch: der frühere Interviewer holt den nun befragten Regisseur immer wieder ein. Seine Interviewpartner haben sich die Lehren des Journalisten Truffaut zu Herzen genommen: für ihn war das Interview ein Medium der faszinierten Neugier, keines der Kritik. Nicht selten müssen sie die Filme gegenüber ihrem Regisseur in Schutz nehmen (der herrlichste Augenblick: Truffauts Bestürzung, als er die Anfangsszene von Das Geheimnis der falschen Braut nach etlichen Jahren wiedersieht).

Truffauts Selbsteinschätzungen sind bescheiden, ohne jegliche Koketterie; besonders seine Arbeiten aus den sechziger Jahren empfindet er als zu prätentiös. Truffaut ist ein offener, aber auch listig distanzierender Gesprächspartner. Einerseits ein klargesichtiger Interpret gewisser Strategien in seiner Karriere, etwa der Abwechslungstaktik, die ihn einen melancholischen Film immer mit einem heiteren kontern ließ. Andererseits gibt er sich überraschend arglos, wenn es um Querverbindungen, Leitmotive, versteckte Hommagen und vieles mehr geht, dem der Journalist Truffaut damals behende auf der Spur war.

Welche le¿ons du cinéma blieben mir nach der Lektüre am stärksten in Erinnerung? Erst einmal, daß für mich zuvor der autobiographische Gehalt die Größe seiner Filme ausmachte; nun weiß ich ihre biographischen Qualitäten stärker zu schätzen. Und dann Truffauts Faustregel für die Länge eines Filmes: ein Regisseur sollte immer in der Lage sein, alle Filmbüchsen allein tragen zu können.

Monsieur Truffaut, wie haben Sie das gemacht?, hrsg. von Robert Fischer, 253 Seiten, ca. 170 Schwarzweißabbildungen, geb., 44 DM, erschienen bei der vgs Verlagsgesellschaft

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