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DEBATTEDie Stasispinne im Netzwerk der alternativen Projekte

■ Statt Aufklärung bestimmt Mystifizierung die öffentliche Debatte

Nach der Enttarnung des taz- Mitarbeiters Till Meyer als langjährigem Zuträger der Stasi beginnt der links-grün- alternativen Szene im Westen der Republik zu dämmern, daß die Stasi nicht nur im Herzen der oppositionellen Bürgerbewegung Ostdeutschland gesessen hat, sondern daß ihre Kundschafter und Einflußagenten auch im Milieu der „linken“ Projekte, Organisationen und Parteien des Westens einen festen Stammplatz hatten. Beinahe täglich werden hinter vorgehaltener Hand neue Namen gehandelt und der Spekulation über die Machenschaften der Stasi in der Friedens-, Ökologie- und Alternativbewegung neue Nahrung gegeben. Je mehr Betroffene demnächst Einblick in „ihre“ Akte nehmen können, desto mehr Leichen werden mit Sicherheit aus dem Keller geholt werden. Das Erschreckende an dieser Entwicklung ist die grassierende Sprachlosigkeit und Unbeholfenheit im Umgang mit diesem Kapitel linker Geschichte. Statt Aufklärung bestimmt Mystifizierung des „Stasi- Komplexes“, vor allem im Westen, die öffentliche Auseinandersetzung. Da werden omnipotente Vorstellungen von der Stasi geschürt, als ob sie durch ihre Agenten in der Lage gewesen wäre, soziale und politische Bewegungen im Osten wie im Westen nach Belieben zu steuern und politisch auszurichten. Ohne Zweifel haben IMs und Einflußagenten auch im Westen Desinformationspolitik betrieben und versucht, einflußreiche Positionen im links-grün-alternativen Netzwerk zu besetzen. Das muß schonungslos aufgedeckt werden. Aber ich halte es für wichtiger, den ideologischen Resonanzboden zu beleuchten, der der Stasi ihr Wirken im Umfeld der „linken“ Szene erleichtert hat.

Schon der Fall Dirk Schneider hat meine Zweifel bestärkt, daß wichtige politische Positionen, zum Beispiel bei den Grünen, das Produkt der Stasi-Einflußnahme gewesen sind, wie es von einigen Mitgliedern der AL Berlin vermutet worden ist. Ich denke, dieser Vorwurf führt in die Irre, denn alles spricht dafür, daß die Position der Grünen in den wesentlichen deutschlandpolitischen Fragen auch ohne Dirk Schneider keinen Deut anders ausgefallen wäre. Die Zweistaatlichkeit als zentrale programmatische Festlegung war common sense nicht nur bei den Grünen, sondern bei allen Bundestagsparteien und den relevanten politischen und gesellschaftlichen Großorganisationen in der Bundesrepublik. Allen konservativen Wiedervereinigungsbeteuerungen zum Trotz war die Gewöhnung an die deutsche Teilung spätestens seit den sechziger Jahren zum Normalzustand der westdeutschen Gesellschaft geworden. In der Ära der neuen Ostpolitik entwickelte sich in der Bundesrepublik aus dem „Zustand“ der Zweistaatlichkeit eine Theorie und politische Praxis. Keine politische Kraft stellte diese Politik im Jahrzehnt vor der Wende in Frage noch verfügte eine der Bundestagsparteien über ein operatives Konzept für eine auf Wiedervereinigung zielende Deutschlandpolitik. Bei den Grünen und großen Teilen der intellektuellen Linken kam hinzu, daß sie die Teilung Deutschlands für ewig und alle Zeiten als gerechte Strafe für den Nationalsozialismus akzeptiert und sich „politisch und psychologisch in der Zweistaatlichkeit eingerichtet“ hatten.

Trotzdem waren die Grünen gerade in ihren Gründerjahren weit davon entfernt, die von allen Bundestagsparteien akzeptierten diplomatischen Spielregeln der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der realsozialistischen Länder einfach mitzumachen. Im Gegenteil: Die Grünen waren zunächst die einzige Partei, die mit ihrem Konzept einer blockübergreifenden Friedens- und Menschenrechtspolitik der diplomatischen Appeasementpolitik der anderen Parteien etwas entgegenzusetzen hatte. Petra Kelly und andere sorgten mit ihrem aktionsorientierten Ansatz einer radikalen systemübergreifenden Menschenrechtspolitik für erfrischende Akzente in der grauen Politiklandschaft jener Tage. Erinnert sei an ihren Auftritt bei dem Besuch einer grünen Delegation in Ost-Berlin 1983, wo sie Honecker mit einem T-Shirt „Schwerter zu Pflugscharen“ überraschte. Und selbst die Forderung nach vollständiger völkerrechtlicher Anerkennung der DDR hat nie dazu geführt, die Kontakte zur DDR-Opposition abreißen zu lassen.

Erst durch das verstärkte organisatorische und programmatische Einsickern der traditionellen Linken in das grüne Projekt wurde dieser ursprüngliche Ansatz immer stärker verwässert. Der ökosozialistische und linksdogmatische Flügel um Reents, Trampert, Ebermann, Schmidt und Schneider lehnte die Einklagung von Menschenrechten in den osteuropäischen Staaten als imperialistisches Störmanöver zur Destabilisierung des Sozialismus ab. Wer kompromißlos für Menschenrechte in Osteuropa eintrat, paktierte mit dem Klassenfeind. Diese Einstellung war symptomatisch für die radikale Linke in der Bundesrepublik, zu der sich auch Till Meyer zählte. Ehemalige DDR-Bürgerrechtler haben in den achtziger Jahren immer wieder erstaunt festgestellt, daß ein Teil der Westlinken die Forderung der DDR-Opposition nach individuellen Freiheitsrechten als „bürgerlich“ denunzierte.

Die Altlasten linker und grüner Strategie

Die drei großen As — Antikapitalismus, Antiimperialismus und Antifaschismus — waren das heimliche Band, das nicht nur den ökosozialistisch-fundamentalistischen Flügel bei den Grünen, sondern auch die Traditionslinke in anderen alternativen Projekten mit der DDR verband. Die DDR war zwar nicht das Land der Träume, aber es wurde bei aller Kritik immer noch als Hinterland der weltweiten antiimperialistischen Front angesehen. Till Meyer bestätigt diese Vermutung in einem taz-Interview der letzten Woche auf frappierende Weise: „Ich habe gekämpft, diesmal mit einem mächtigen Verbündeten. Im Antikapitalismus und Antiimperialismus sind wir miteinander klargekommen. Ich habe die DDR deswegen verteidigt, weil die DDR für mich ein Rückgrat im weltweiten antiimperialistischen Kampf war.“ (taz vom 31.1.92, S.10). Ein instrumentelles Verhältnis zu den individuellen Freiheits- und Menschenrechten, der ungebrochene Glaube an sozialistische Wirtschaftsmodelle und die Verdrängung der Blutspur des stalinistischen Antifaschismus gehören in diesem Zusammenhang zu den nicht aufgearbeiteten Altlasten linker und grüner Strategie. Schon weil die systemkritische Auseinandersetzung mit der DDR den Sozialismus als „das Andere zum Kapitalismus“ diskreditiert hätte, war es bei großen Teilen der Linken verpönt, die DDR auf die Anklagebank zu setzen. Nicht wenige waren der Überzeugung, daß soziale Grundrechte in der DDR besser verwirklicht seien als in der Bundesrepublik. Dazu noch einmal in Paranthese Till Meyer: „Außerdem war ich seit frühester Kindheit — ich bin in Berlin groß geworden — ein Verteidiger der DDR. Später war mir noch viel klarer, daß dieses Land geteilt bleiben muß. (Die DDR) war für mich der bessere deutsche Staat, den es zu verteidigen galt.“ (taz vom 31.1.92, S.10)

Es kann vor diesem Hintergrund nicht erstaunen, daß es Leute wie Schneider und Meyer in ihrem jeweiligen Umfeld leicht hatten, Einfluß zu gewinnen und bis in die Führungszentren ihrer jeweiligen Organisationen und Projekte vorzudringen. Schneider zum Beispiel, den ich aus der politischen Arbeit persönlich kenne, war kein gewiefter Agent, der mit irgendwelchen Machenschaften bei den Grünen Karriere gemacht hat. Er war ein ganz „normaler“ Vertreter der dogmatischen Linken in den Grünen, die auf allen Ebenen anzutreffen waren. Diese kämpften offen für ihre Positionen und fanden überall Fürsprecher; sie konnten mit Zustimmung der Basis hohe Ämter besetzen, und ihre Anträge wurden auf Parteitagen mit Mehrheit verabschiedet. 1983 forderte er mit Petra Kelly und anderen Grünen in einem Brief „an den Staatsratsvorsitzenden der DDR“ die sofortige Freilassung von Jenaer Friedensdemonstranten.

Man kann all diese Beispiele als besonders widerwärtige Heuchelei oder als Fall politischer Schizophrenie deuten wie wir sie auch aus den anderen Spitzelfällen kennen. Wahrscheinlich trifft sogar beides zu, aber ich denke, das alleine reicht als Erklärung nicht aus. Die jüngsten „Offenbarungen“ von Till Meyer und die bisherigen Äußerungen von Dirk Schneider über ihre Tätigkeit als IMs erhärten meine Vermutung, daß wir bei der Beantwortung der Frage, weshalb sich Leute wie sie für die Tätigkeiten des MfS haben einspannen lassen, davon wegkommen müssen, uns die Täter als besonders skrupellose und abgefeimte Geheimdienstagenten vorzustellen.

Schneider und Meyer waren in erster Linie ideologisch motivierte Überzeugungstäter. Diese Feststellung macht die Sache zwar nicht besser, aber eröffnet eine weniger geheimdienstliche Betrachtungsweise der Indienstnahme westlicher Linker durch das MfS. Die Stasi war nicht einfach nur ein profaner Geheimdienst, sondern sie hat Leuten wie Schneider und Meyer zugleich eine ideologische und soziale Heimat angeboten. Ich denke, das MfS wußte sehr genau, bei welchem politischen und sozialen Typus innerhalb der linken Szene ihre Anwerbungsversuche am erfolgversprechendsten waren. Till Meyer schildert im taz-Interview, wie er an dem Zusammenbruch der DDR psychisch gelitten hat und wie er den „Genossen noch Tips geben wollte, um das Dilemma zu verhindern. Gleichzeitig geht aus seinen Schilderungen eine beinahe libidinöse Bindung zu seinen Führungsoffizieren hervor. Er trauert der Vertrautheit und Wärme der vielen Gespräche nach dem Ende der DDR geradezu nach: „Und dann haben wir uns noch mal umarmt und sind auseinandergegangen. Ende. Du bist jetzt offiziell abgeschaltet, hat er gesagt. So läuft das.“ (taz vom 31.1.92, S.10) Sieht man einmal von der maßlosen Überhöhung und Selbststilisierung seiner Rolle und Bedeutung für das MfS ab, sind gerade die in der taz dokumentierten Innenansichten von Till Meyer ein Lehrstück für die Anfälligkeit der ideologisch motivierten Überzeugungstäter im links-grün-alternativen Netzwerk gegenüber den Anwerbungsversuchen durch die Stasi.

Der soziale und politische Typus, den Schneider, Meyer und andere innerhalb der linken und alternativen Projekte verkörpert haben, gehört zur Geschichte der westdeutschen Linken, so wie die Staatssicherheit zur DDR gehört. Die selbstkritische Aufarbeitung dieses Kapitels linker Geschichte steht noch aus. Lothar Probst

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