: Mit Röslein bedeckt
■ Ausstellung von Antar Netra R. Honigs und Daisaku Nagai
Müllrecycling à la Louis XIV: Man mische eine Portion Dekadenz des verarmten Landadels mit einer Prise Disneyland, gebe einen Schuß Geisterbahnromantik hinzu und hauche solch ausgefallener Mischung mit der Symbollehre nach C.G. Jung die Seele ein — wäre unser Auge mit Geschmacksnerven bestückt, man könnte die Küchenkunst von Antar Netra gewissermaßen lustvoll auf der Linse zergehen lassen.
Auch wenn es nicht so aussieht: Antar Netra findet seine Materialien ausschließlich auf Müllplätzen. Genauer gesagt: eine wilde Kippe in den lieblichen Hügeln der Provence diente ihm als Fundus für Gold- und Plastikfolie, Schaumstoff, Fell, Puppenbeine, Federn, Haare, verbranntes Holz — und vor allem viele, viele Rosen aus Plastik, von schlichten südfranzösischen Gräbern ausrangiert. In der Provence sind die Objekte 1989 und 90 entstanden.
Der Künstler mit dem auffälligen Namen ist nicht etwa Franzose oder gar ein frisch vom indischen Subkontinent importierter Yogi. Antar Netra ist Sanniyassin und nennt sich bürgerlich Reiner Honigs. Im Alltag setzt er seine kreative Energie mit der Haarschneideschere in bare Münze um. Vom Irokesen bis zum Mozartzopf: die schrillen, bunten Werke in der kleinen Galerie in der Pestalozzistraße spiegeln mit ihrer ausgesprochen flexiblen Thematik die breite Palette eines Frisiersalons.
Ein mannshohes und -breites Objekt wirkt wie eine gepolsterte Stellwand. Aus unzähligen Vertiefungen drängen Rosen ans Tageslicht, zum Teil mit eigener Leuchtquelle versehen. Fetzen aus Goldfolie verleihen einen luxuriösen Flair. Schwarze Plastikfolie, von den Spuren des Heißluftföns gezeichnet, trieft wie ein ausgedientes Spinnennetz über diese seltsame Landschaft — das Ganze ließe sich als Bühnenbild für eine Tolkien-Inszenierung denken.
Ein undefinierbares grau-rotes Objekt am Boden läßt durch zu heiß gefönte Plastikschlieren und -fäden auf etwa fünf Paar Puppenbeine blicken. Eine Art freiliegender Gebärkörper, der Babys und Reste geplatzter Fruchtblasen ausstößt. Ringsum sind handtellergroße, sternförmig ausgesägte Holzteile geschichtet, völlig verbrannt. Ein Scheiterhaufen, Geburt und Tod, ein Denkmal für den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen.
Da gibt es außerdem einen goldenen Triumphbogen mit einer Lichtergirlande aus Plastikrosen, afrikanisch anmutende Schutzschilde, indianische und vulvaähnliche Wandobjekte, das Röntgenbild eines Thorax in einer Glaskuppel, deren Boden vollständig mit Haaren bedeckt ist.
Im Nebenraum zeigt Antar Netras Partner Daisaku Nagai eine Installation, die die Thematik von Werden und Vergehen wieder aufgreift. Er ist Japaner und arbeitet hier ebenfalls mit Abfällen. Vierzig Plastikbecher stehen in Reih und Glied, mit der Öffnung nach unten. Auf den Deckeln sind Mandarinenschalen so ineinandergeschachtelt, daß sie wie orangefarbene Rosen aussehen. Der Trocknungsprozeß öffnet die Blüten, das Lebendige ist im Wandel, nur die Plastikbecher bleiben dieselben — zumindest bis zum Ende dieser Ausstellung.
Alles verändert sich — nichts bleibt wie es war. Der ewige Kreislauf von Geburt und Tod und die Vieldeutigkeit der individuell erlebten Realität sind wichtige Themen für einen Wahrheitssucher, einen Sanniyassin. Entsprechend wählt Antar Netra als Titel für seine Ausstellung: »Kein Tag wie jeder andere«. Der Künstler plant, Objekte und Bilder regelmäßig auszuwechseln und durch neue Werke zu ersetzen. Damit wird auch diese Ausstellung selbst einen ständigen Verwandlungsprozeß durchlaufen. Jantje Hannover
Pestalozzistraße 23, Charlottenburg noch bis zum 27.2. 92, Mo. bis Fr. 12.30-17 Uhr, So. nach Vereinbarung.
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