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Wegschauen!

■ Das Moderne Theater spielt in der Studiobühne

Sie sind alle tot, von Anfang an. Nur der Ölverkäufer tappt mit seinen rostigen Kanistern zwischen reglosen Stoffhaufen herum, wie zwischen Steinen, die er vergebens versucht zum Sprechen zu bringen.

Träume und Erinnerungen werden es sein, die an diesem Abend über die Bühne geistern, die agierenden Personen Gespenster, zum Leben erweckt vom Erinnerungs- und Redefluß des namenlosen Ölverkäufers, zu Steinen erstarrend in seiner Abwesenheit. Die Geschichte, die erzählt wird, ist die Geschichte eines ganz normalen Menschen, der mit Politik nichts zu tun haben will und der doch mörderisch hineingezogen wird. Fast zugrunde geht, und im rettenden Exil nichts als das nackte Leben behält. Fast nicht einmal das.

Autor und Regisseur Radji Abdulla, geboren in Bagdad, und dort ausgebildeter Regisseur, hat neben Mythen und apokalyptischen Visionen offensichtlich auch Autobiographisches in seinem Stück umgesetzt: Exilerfahrung. Die unverblümte Rohheit, mit der Schmerz und Überlebensangst, Verlorenheit und Anklage (auch das!) in Worte gefaßt und ausagiert werden, trifft beim abendländischen Zuschauer — gewöhnt an stilvoll-klassisches oder ironisch- gebrochenes Theater, das sich gerne als Kunstform selbst zitiert — einen ungeschützten Nerv. Gelegentlich auch den Nerv, der für das Signal »Wegschauen!« zuständig ist.

Die Inszenierung bietet vordergründig Anlaß genug für saures Aufstoßen in Kritikermägen: Das kärgliche Bühnenbild verdient diese Bezeichnung nur wegen einiger weniger emblematischer Dekorationen, wie dem über der Leere schwebenden Riesenkopf. Er soll die politische Macht verkörpern. Dem Text selbst täte eine bessere Übersetzung gut. Wunderbar »orientalische« poetische Textpassagen, wie vom fliegenden Teppich gesprochen, mutieren hier zur Borddurchsage eines Lufthansa-Linienfluges. Auch der Rotstift eines Dramaturgen hätte gewiß keinen Schaden angerichtet.

Dem Regisseur schließlich fehlt es an Distanz zu seinem Text, und das macht die Schwäche, aber auch die Eindrücklichkeit des Stückes aus. Obwohl die sehr jungen Schauspieler den Wechsel vom Totenreich zu lebhafter Präsenz in den Nebenrollen nur schwer bewältigen, überzeugen in dieser Inszenierung vor allem die traumhaften und traumatischen, aufeinandergeschichteten Sequenzen aus dem Flüchtlingsleben.

Das Gewicht liegt auf Abdullas Hauptdarsteller in der Rolle des Ölverkäufers (beachtliche Kondition: Zafer Karatas). Der hält — trotz der Mühe, Erzähl- und Erlebnisebene miteinander in Einklang zu bringen — letztlich das Stück zusammen und gewinnt diesem kurdischen Ahasver viele Gesichter ab: der demütig-verwirrte Rosenverkäufer in einer für ihn völlig absurden Szenerie abendlichen Amüsements; die freudige Verwirrung angesichts der bestrumpften, in die Luft ragenden Sekretärinnenbeine, die mit der ersehnten Aufenthaltsgenehmigung wedeln; die Verzweiflung des Überlebenden im Dialog mit dem Täter in der apokalyptischen Wüste, die schließlich überall ist. Radji Abdulla gelingt es, trotz geradezu jämmerlich beschränkter Mittel schöne, alptraumhafte Bilder herzustellen, die auch vor dem Auge stehenbleiben, wenn der Vorhang gefallen ist. So bekommt man wenigstens eine Ahnung davon, was dieser Regisseur aus dem Stück unter günstigeren Voraussetzungen hätte machen können. KaD

Nächste Vorstellungen: heute, morgen und übermorgen um 20.30 Uhr, Studiobühne am Nauener Platz, Wedding

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