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Wer heilt, hat recht

■ Alles Quacksalber: Die immer gleiche Behandlung alternativer Medizin in den orthodoxen Medien

Alles Quacksalber: Die immer gleiche Behandlung alternativer Medizin in den orthodoxen Medien VONRENÉEZUCKER

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uuuhh, war das gruselig... meine Mutter (und wahrscheinlich nicht nur sie) fiel vor dem Fernseher von einem Entsetzensschrei in den nächsten: ein Film über Uriella, das Sprachrohr Gottes hatte sein Ziel erreicht, und befriedigt lehnen sich kirchliche Sektenbeauftragte und weltliche Schulmediziner zurück in die gemütlichen Fernsehsessel. „Ham wir's doch immer gewußt und schon lange gesagt, sogar von 'Spiegel‘ und 'Stern‘ bestätigt bekommen: alles Scharlatane und Quacksalber — ja, geradezu menschenverachtend und lebensgefährlich, was nicht von Vatikan und Ärztekammer abgesegnet ist.“

Was aber hatte uns die Fernsehdokumentation des Grimme-Preisträgers Felix Kuballa gezeigt? Eine offensichtlich völlig meschuggene, größenwahnsinnige ältere Frau mit schlechter Perücke und Barbra- Streisand-Fingernägeln pantscht mit einem Teelöffel in ihrem Badewannenwasser herum und behauptet, nach ihrer Behandlung sei das Wasser aus Gottes kosmischer Apotheke und gegen jegliches Leiden anzuwenden; danach hält sie alberne Reden, in denen banale Weisheiten über die Welt, den Menschen und Gott vorkommen. So etwas wird dann auch gern als „Channeling“ bezeichnet: Botschaften, die von mehr oder weniger berühmten Persönlichkeiten aus dem Jenseits übermittelt und von den hiesigen Kanalarbeitern dann mit verfremdeter Stimme einer gläubigen Gemeinde vorgetragen werden. Also quasi das, was du und ich jede Nacht auf dem „Königsweg des Unbewußten“, beim Träumen, erledigen, nur mit dem Unterschied, daß wir nicht so tun, als hätten diese Botschaften außer für uns selbst irgendeine Wichtigkeit. Selbstverständlich gibt es da auch Ausnahmen unter den visionierenden Träumern — jene, die tatsächlich auch noch für dich oder mich einen Sinn erträumen, aber das sind, wie gesagt, große Ausnahmen. Uriella gehört mit Sicherheit nicht dazu, genausowenig wie die meisten selbsternannten Meister, deren überflüssige Werke jeden Monat auf den Novitäten-Tischen der Eso-Läden ausliegen. Um überhaupt bei der geheimnisvollen Uriella drehen zu können, haben sich die Fernsehangestellten weiße Kleidung anziehen müssen, berichtet der 'Stern‘ in seiner TV-Beilage ehrfurchtsvoll über die Wallraff-Methoden der mutigen Reporter; dabei war in jeder Szene deutlich, daß sich die ehemalige Schweizer Fremdsprachenkorrespondentin, die eigentlich Erika heißt, nur allzu gern im Licht der Fernsehscheinwerfer und Kameras spiegelte. Endlich! Endlich mehr Öffentlichkeit als nur diese läppischen 700 armseligen Anhängerlein, denen anzusehen war, daß sie vom Protestantismus nichts für ihre heftigen emotionalen Bedürfnisse bekommen hatten und deshalb auf diese Trine abfahren müssen.

Schade eigentlich, daß sich der Filmmacher nicht mal um diesen seltsamen Erzengel Uriel gekümmert hat, von dem Erika ihren Künstlernamen auslieh — sonst hätte er sie nämlich gleich abhaken und sich statt dessen um den eigentlichen Skandal in der ganzen Angelegenheit kümmern können: die zuständige Staatsanwaltschaft, die keinerlei Gründe fand, der Dame die Heilpraktikerlizenz zu entziehen und sie wegen mehrerer versuchter Morde anzuzeigen. Wo blieb denn da die Ärztekammer, die sonst so schnell dabei ist, HeilpraktikerInnen wegen unerlaubter Hilfeleistung beizukommen?

Fragen wir bei Uriel, dem „Feuer Gottes“, an: In der furchtbaren Apokalypse des Petrus erscheint er als einer der grausamen Strafengel, die es den Sündern mal so richtig zeigen. Vor allen Dingen hat er es auf Frauen und Männer abgesehen, die sich der Hurerei erfreuten und die daraus entstandenen Kinder abgetrieben haben. Wenn man wissen will, woher Folterer ihre unendlich reichen Phantasien haben — hier kann man den einen oder anderen Tip bekommen. Aber:

„Bei dieser Qual sind blinde und stumme Männer und Weiber, deren Gewand weiß ist. Dann pferchen sie sich gegenseitig zusammen und fallen auf Kohlen nicht verlöschenden Feuers. Das sind die [...], welche sagen, wir sind gerecht vor Gott — während sie doch der Gerechtigkeit nicht nachgetrachtet haben. [...] Die in der Grube sind, brennen. Das sind nämlich die Zauberer und Zauberinnen.“ (aus: Die Petrus Apokalypse). So könnte man sich fragen, ob Uriella nicht ausgesprochen bewußt gerade diesen Engel, der übrigens auch noch den Vorsitz über den Tartarus führt, gewählt hat. Malcolm Godwin schreibt in seinem Buch Engel — eine bedrohte Art (Zweitausendeins) über ihn: „Er scheint ein ziemlich übler Mafiosi gewesen zu sein, insofern steht ihm die Präsidentschaft über die Hölle wohl zu Gesicht.“ Und damit verabschieden wir uns von der dämlichen Dame Erika- Uriella, einem gewiß dankbaren Objekt für bequeme und mittelmäßige öffentliche Anstaltsdenker, weil sie leicht jedes Vorurteil bestätigt und so schön plakativ agiert, daß man gar keine wirkliche Auseinandersetzung über so etwas wie „Geistheilung“ führen mußte.

Wann sehen wir endlich einen, der durch Pizza-Auflegen heilt?

Aber diese Machart von pseudoinvestigativen Beiträgen hat ja mittlerweile goutierte Methode im Fernsehen, denkt man unter anderem auch an den unlängst gezeigten ZDF-Film über die Machenschaften einer spanischen Pseudo-Biofarm, in dem dauernd von Beweisdokumenten die Rede war, die enthüllten, daß diese Farm in Wirklichkeit ihr Gemüse auf dem Großmarkt kauft und nur die Demeter-Etikette draufklebt... Schade eigentlich, daß wir statt dieser Dokumente immer nur die Autoren sahen, wie sie durch die spanische Landschaft stapften...

Wie interessant wäre es doch, wir sähen einen Film über Phänomene „anderer“ Heilart, in denen statt der üblichen Vertretertypen und Beutelschneider (pfui!) auch mal der eine oder andere bescheiden erfolgreiche Heiler zu Wort und Bild käme. Vielleicht verstehen wir nicht seine Methoden, vielleicht erhält er seine arzneilichen Empfehlungen aus anderen Quellen als der Ärztefibel oder den Rundschreiben der Pharmazie, wer weiß — vielleicht gibt es sogar einen, der erfolgreich heilt, indem er seinen Patienten eine Pizza auf die Wunde legt — und? Was beweist uns das, außer der Feststellung, daß er es tut?

Im letzten Sommer bekam ich einen Anruf aus New Jersey. Eine Frau mit entsetzlich quietschender Stimme, die meine Nummer von ich weiß nicht wem hatte und einen Deutschlandbesuch mit zwei Tagen Berlin- Aufenthalt ankündigte und zwischen Sightseeing-Tour und Opera ein Treffen mit mir wünschte. Heilerin sei sie und Vorsitzende irgendeines internationalen Heilerbundes mit Sitz in Jerusalem. Immer her mit den kleinen Heilerinnen — ich treffe sie um acht Uhr morgens in ihrem Hotel und wünschte, ich wäre im Bett geblieben: eine kleine typische East- Orange-Hausfrau, mit Dauerkrause, pastellenen Krallen, im schrillen, phosphorfarbenen Jogging-Anzug und mit dieser penetranten Quietschstimme. Wohin mit der, daß mich keiner sieht, der mich kennt? In ein Kudamm-Café mit diesem geliebten alten italienischen Kellner, der immer, wie von Furien gehetzt, seine Teller und Tassen durchs Lokal balanciert, der ständig schlechte Laune und abwechselnd Plattfuß- oder Rheumabeschwerden hat, jede freie Sekunde hektisch an einer Overstolz zieht und dem der drohende Infarkt aus den Augen starrt — die Heilerin plärrt vor sich hin, ich beobachte den Kellner, der normalerweise, kaum hat man die Bestellung ausgesprochen, schon wieder mit allem Gewünschten am Tisch ist. Plötzlich bleibt er, der kein Wort Englisch versteht, bei uns stehen und sagt mir, daß er wieder so schreckliche Rückenschmerzen hat. Mehr aus Langeweile deute ich auf die Heilerin, übersetze ihr kurz sein Leiden, sie weist auf den freien Stuhl, lammfromm läßt sich der sonst so gefürchtete Grimmling nieder, knapp zehn Minuten steht sie hinter ihm, drückt die langen Nägel der linken Hand auf irgendwelche Stellen seines Rückens („Woher weiß die, daß es mir dort weh tut?“, knarzt der Kellner), fährt mit der rechten zwei Zentimeter oberhalb des Körpers auf und ab, manchmal knallt es wie beim schnalzenden Aufzeigen früher in der Schule, der Kellner dreht erst vorsichtiger, dann immer schneller seinen Kopf, schreit: „Das kann ich schon seit drei Jahren nicht mehr!“ und macht plötzlich, mitten im Lokal, als sie ihm bedeutet, daß die Behandlung zu Ende sei, fünf Kniebeugen, strahlt, küßt die Amerikanerin, dann mich und nimmt uns (aus Versehen?) zuviel Geld ab und arbeitet weiter. Das war im Juli. Seitdem gehe ich wenigstens einmal im Monat dort vorbei, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Es ist in Ordnung, aber, so sagt er mißtrauisch, eigentlich glaubt er nicht dran. Das ist auch okeh und, wie Karlsson vom Dach zu sagen pflegte, „stört doch keinen großen Geist“.

Warum reagieren Goldhamster auf Placebos?

Mein Sohn hatte von Geburt an eine Neurodermitis, an der sich Kinder- und Hautärzte vergeblich abarbeiteten. Nach neun Jahren ließ ich ihn (auf Anraten jener Ärzte) homöopathisch behandeln. Nach drei Tagen war alles weg und ist seit vier Jahren nicht mehr aufgetaucht. Was beweist das? Gar nichts, haha! Oder aber, wie es ein den alternativen Heilmethoden völlig abholder und deshalb auch insofern unverdächtiger Freund, von Beruf Psychiater und Neurologe, formulierte, als ich ihm davon erzählte: „Wer heilt, hat recht.“ Warum macht keiner der aufgeklärten und neugierigen Journalisten einmal einen Bericht unter dieser Prämisse? Warum wird nicht einfach festgestellt, der und der hat unrecht, weil soundso viele Patienten immer noch an ihren Schmerzen oder Krankheiten leiden, dieser oder jener hingegen treibt zwar etwas, von dem wir nichts verstehen (aber wer hätte jemals Jugoslawien, den Zusammenbruch der Sowjetunion oder den Golfkrieg verstanden?), hat aber offenbar recht, weil er geheilt hat. Wenn ich als Hundehasser einen Report über Kampfhunde oder Krankheitserreger über Hundescheiße auf Spielplätzen mache, wird hinterher nichts anderes als das herauskommen, was ich vorher schon im Sinn hatte. Wenn ich als Gläubiger der Schulmedizin einen Bericht über Homöopathen machen will, brauche ich nicht mehr groß zu recherchieren, weil eh alles schon statistisch bewiesen werden kann, was ich darüber zu wissen meine. Seit neuestem geistert immer wieder die Theorie des Placebo-Effekts durch die Diskussionen, gerade bei den Resultaten über die Resultate der Homöopathie — wie erklärt man sich dann aber ihre Wirkung in der Tiermedizin? Können Dackel, Kanarienvögel und Goldhamster auch auf Placebos reagieren? Mein Gott, ich weiß es doch auch nicht. Was ich aber weiß, ist, wie es sein muß, wenn ein interessierter Mitarbeiter etwas über alternative Heilmethoden im Öffentlich-Rechtlichen machen will — nämlich ungefähr so, wie es mir ging, als ich mal im Frauenfunk des SFB eine Rezension über Bielers Roman über seine Mutter machen wollte. Redakeurin: „Was, über den? Da kommt doch die Mutter unheimlich schlecht bei weg.“ Ich: „Wir können doch Frauen nicht immer nur als Opfer und Heilige darstellen. Mütter können eben auch Schweine sein.“ Redakteurin: „Das kommt schon genug in den anderen Programmen vor, das soll nicht ausgerechnet bei uns auftauchen.“ Und jetzt stellen wir uns den eifrigen, neugierigen Reporter vor, der insgeheim eine kleine Affinität zu den Heilpraktikern pflegt, weil ihm sein Arzt seit Jahren nur Cortison gegen seine Schuppenflechte verschreibt und sein Magengeschwür sofort an den tiefen Verbitterungsfalten im Gesicht erkennbar ist... Wir erinnern uns an zwei große Titelgeschichten im 'Stern‘ — die erste, über homöopathische Behandlungen, war recht positiv (nicht etwa überschäumend, sondern lediglich relaxed beschreibend) — ein paar Monate später folgte die Peitsche auf die Zuckerkügelchen: unzählige Beschreibungen mißlungener Behandlungen bei allen möglichen verschiedenen Heilpraktikern. Wahrscheinlich vermuten wir zu Recht eine vehemente Intervention großer Anzeigenkunden und Abonnenten, die solcherlei überhaupt nicht durchgehen lassen wollten und auch entsprechenden Druck ausüben konnten. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Redakteur eines größeren Magazins über ein Interview mit einem Heilpraktiker, das er, abgesehen von seiner eigenen bornierten „Aufgeklärtheit“, vor allem deshalb nicht haben wollte, weil zu „viele Ärzte unter unseren Abonnenten sind“. Etwas kurzsichtig gedacht, möchte ich meinen, weil immer mehr Patienten auf den Abfrühstückungsbesuch beim Normal-Arzt verzichten und lieber weniger Geld für alternative Arznei ausgeben, auch wenn sie für den Besuch beim Heilpraktiker mehr bezahlen müssen.

Der Knackpunkt ist und bleibt allerdings die unkontrollierte und willkürliche Ausbildung der alternativen Mediziner: Schulen, die lediglich auf die Prüfung beim Amtsarzt vorbereiten, und Amtsärzte, die null Ahnung von alternativen Heilmethoden haben. Immerhin sitzen in Nordrhein- Westfalen schon Heilpraktiker in der Prüfungskommission. Das läßt hoffen. Andererseits ist das Interesse der Pharmaindustrie und der Ärzte an ihrem Heilungsmonopol nicht zu unterschätzen. Einer der Homöopathiepäpste, Dr. Matthias Dorcsi, eine Zeitlang Lehrstuhlinhaber für Naturheilkunde in Wien, erzählt, daß ihm oft seine schulmedizinischen Kollegen ihre Gattinen vorbeischickten, wenn sie selbst nicht mehr weiterwüßten. Keinen von ihnen hat dies jedoch dazu bewogen, öffentlich für die Homöopathie zu sprechen. Unsicherheit und Angst sind immer noch die vorherrschenden Gründe, nicht über den Tellerrand der Allopathie hinauszuschauen. „Man suche nicht hinter den Phänomenen, sie selbst sind die Lehre“, sprach einst unser alter Meister Goethe. Welches Mittel empfiehlt die Homöopathie gegen die kleingeistige und engherzige Furcht der Herrschenden? Wenn wir ihnen das mal ins Trinkwasser geben könnten.

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