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„Vergiß den Scheiß mit der Stasi“

■ Die enthüllungsgebeutelten Rostocker schlugen den VfB Stuttgart mit 2:0 und wurden heftig gefeiert

Rostock (taz) — „Toll, Flori“, „Flori, mach weiter so“ oder einfach nur: „Flori, Flori, Flori“ — nach dem Schlußpfiff im Rostocker Ostseestadion hatten die Fans vor allem einen Mann ins Visier genommen, ihn zu liebkosen, zu herzen und vor allem hochleben zu lassen: Florian Weichert, 24jähriger Stürmer vom letzten DDR-Meister Hansa Rostock, wurde auf den Schultern von etwa 90 Fans getragen; sie wippten ihn empor, spielten mit dem schmächtigen Lockenkopf Flummi— ein Held, weil er strauchelte.

„Vergiß den Scheiß mit Stasi“, raunte ihm einer ins Ohr. Und Weichert nickte nur. „Bleib hier bei uns“, sagte einer, der „extra aus Anklam kommt“, der hintersten Ecke der früheren DDR. Und Weichert, nach Luft japsend, versprach ihm mit festem Blick ins Auge: „Ja, ich bin doch aus Rostock.“ „Bestimmt?“ rätselt noch der Anklamer Koggenschalträger, offenbar inzwischen westlicher Verlautbarungspraxis in Kombination mit ebensolchen heuchlerischen Treueschwüren vertraut. Und Florian Weichert wischt sich einen wie eine Träne aussehenden Schweißtropfen aus dem Gesicht, flüstert: „Ja, bestimmt.“

Vor dem Spiel, bekennt er Minuten später, sei er ein bißchen verspannt gewesen, „aber ich wollte alles für die Mannschaft geben“, all sein Können, damit ihm diese seine Schwäche verzeiht, seine Rapporte an die DDR-Staatssicherheit nachsieht als ganz normale Sache in einem Land, in dem „alle wußten, auf was sie sich einlassen, wenn sie Spitzensport betreiben“, wie Hansas Pressesprecher Robert Rosentreter weiß.

Womöglich wäre der Rehabilitationscours anders ausgefallen, wenn die Rostocker nicht just zuvor die Favoriten vom VfB Stuttgart mit 2:0 aufs Kreuz gelegt hätten. Hätte man dann nicht die Mannschaft verrissen? „Ach ihr im Westen, ihr versteht das nicht“, empört sich ein Fan, „was wißt ihr denn, wie das hier war.“ Ein Volk von Schwachen, das sich ein Spiel lang behaupten konnte gegen ein Team, dessen Coach Christoph Daum vor dem Anpfiff gesagt haben soll: „Wenn wir nicht in Rostock gewinnen, wo sonst?“ Und dieser Spruch, den die Rostocker vor Spielbeginn ins Ohr geträufelt bekamen, wirkte wie Doping. Es war kein schöner Kick, technische Finessen haben die Rostocker nicht im Angebot, und die Stuttgarter waren nicht willens, sie zu zeigen. Zweikämpfe noch und noch waren zu beobachten, die meist die Rostocker gewannen.

Kämpferisch ließen sie nichts anbrennen, Buchwald, Sammer — der als Fahnenflüchtiger noch vor der Wende heftig ausgepfiffen wurde — und Kögl: Sie hatten keine Chance gegen die siegeshungrigen Hansa- Mannen. Das erste Tor zu schießen, blieb freilich dem kürzlich aus Duisburg angeheuerten Nils Schlotterbeck vorbehalten in der 27. Minute, nachdem die VfB-Abwehr um Guido Buchwald völlig konfus herumstand. Und das zweite, das besorgte, wie ein Hansa-Fan notierte, Florian Weichert. Er gab die Flanke von der linken Seite präzise auf Michael Spies— der Stuttgarts Keeper Eike Immel cool in die falsche Ecke schickte. Und so sehr sich Weichert auch bemühte, sich ebenso wie tags zuvor Torsten Gütschow bei Dynamo Dresden für die buchhalterische Stasi-Zuarbeit wiedergutmachend zu zeigen — es mochte ihm nicht gelingen. Er lief wie auf der Flucht, ackerte, spielte keine „Zauberscheiße“ zusammen, wie sein Trainer Uwe Reinders sie so haßt. Es war Weicherts Dank an seine Mannschaft, die ihm eine Art Solidaritätsscheck für die Zukunft ausstellte. Weiteren Klärungsbedarf, bescheidet der wiedergewählte Präsident Gerd Kische, gibt es nicht: „Das kotzt mich an“, schimpft er auf die Frage, warum die Mitgliederversammlung seines Vereins eine Überprüfung der Stasi-Vergangenheit der Angestellten und Funktionäre von Hansa Rostock mit 90prozentiger Mehrheit abgelehnt hat: „Fragen Sie doch die Mitglieder...“ Hat er den Antrag etwa nicht mit unterstützt? „Gibt es irgendein Gesetz, das uns verpflichtet, Polizeiaufgaben wahrzunehmen?“ blafft er. Und Robert Rosentreter steht daneben, seine Welt gegen den Westen abzuschirmen: „Immer kriegen wir alles ab, immer. Als ob bei uns nur Schlechtes war — Stasi, Doping...“ Und die Spieler geben Autogramme am Zaun. Florian Weichert ist so gerührt, daß er einmal sogar seinen Vornamen zweimal geschrieben hat. Jan Feddersen

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