piwik no script img

VERBOTENE GRENZE

■ Die touristische Erschließung weiterer Himalaya-Gebiete in Nepal ist geplant

Die touristische Erschließung weiterer Himalaya-Gebiete in Nepal ist geplant VONBINODBHATTARAI

In Nepal werden nun weitere, bisher verbotene Regionen im Himalaya- Gebiet an der tibetischen Grenze für ausländische Touristen geöffnet. Wie die Regierung kürzlich ankündigte, wird es Sondergenehmigungen für 13 entlegene Gebirgstäler geben, darunter der Bezirk Mustang mit seiner tibetischen Loba-Volksgruppe. Neben der Zerstörung der Ökologie könnte ein Ausverkauf der Kultur des Volkes bevorstehen, fürchten Gegner der Erschließung.

Zwar sind die Auswirkungen des Fremdenverkehrs vor allem im Tal von Katmandu zu bemerken, wo zunehmender Autoverkehr und unkontrollierte Bautätigkeit den einstigen Zauber der Königsstadt bedrohen. Aber auch im Annapurna-Gebiet nördlich von Pokhara, in dem sich alljährlich Kolonnen von Bergwanderern den von praktisch jedem Reiseführer empfohlenen 20-Tage- Treck rund um das Bergmassiv entlangquälen, sind die negativen Folgen unübersehbar.

Atemberaubend schöne Rhododendron- und Eichenwälder sind mit Toilettenpapier, Plastiksäcken und Blechdosen übersät, und zahllose kleine Pensionen und Teehäuser versorgen die Wanderer mit Müsli und Kuchen. „Vor zwanzig Jahren gab es in ganz Ghodepani nur einen einzigen Unterstand für Büffel. Wo früher dichte Rhododendronwälder wuchsen, stehen heute vierzig Touristenhütten“, bedauert Chandra Prasad Gurung, Leiter des Annapurna-Naturschutzprojektes.

300.000 Ausländer pro Jahr verbringen ihren Urlaub in Nepal. Mit 65 Millionen US-Dollar brachten sie dem Land im Vorjahr einen Devisenfluß, der nur vom Umfang der Entwicklungshilfe an das Land übertroffen wird. Dieses Jahr sollen es noch mehr werden, auch durch die Öffnung der Lo-Region, 2.000 Quadratkilometer schneebedeckter Gipfel, steiler Hänge, tiefer Schluchten und Gletschermoränen im oberen Mustangtal nördlich von Pokhara.

Lo, bekannt als die letzte verbotene Grenze in Nepal, wird noch immer von seinem eigenen „Raja“ (König) regiert, dessen Residenz Lo- Manthong als einzige festungsartige Siedlung im Himalaya gilt. „Lo ist nicht nur anders, was seine natürliche Ausstattung betrifft, es ist auch eine einzigartige kulturelle Einheit“, erklärt der nepalische Anthropologe Navin Kumar Rai. Die einheimischen Lobas betrachten sich als Nachfahren von Nomaden im Westen Tibets. Ihre Kultur hat wenig mit dem Rest Nepals zu tun. Sie seien „tibetischer als die Tibeter“, versichern Soziologen. Nach wie vor Hirten und Viehzüchter, betreiben sie seit Jahrhunderten Handel mit den Bewohnern des tibetischen Hochlands. Von den Veränderungen im übrigen Nepal waren sie bisher bewahrt.

Ihre zahlreichen buddhistischen Klöster und Paläste, die zum Teil aus dem 15. Jahrhundert stammen, sind regelrechte Schatzkammern an Kunstgegenständen und Dokumenten. Was Rai bisher sorgfältig zu katalogisieren versuchte, könnte aber bald schon im Ausland sein: „Das schnelle Geld, das Touristen bringen, könnte all das hinwegraffen“, warnt der Anthropologe.

Die Öffnung der Region erfolgt zu rasch, meint Gurung. „Mustang hat keine Infrastruktur, um Fremde zu beherbergen.“ Die Lobas würden, wenn überhaupt, als letzte profitieren. Zuerst machten Reisebüros in Katmandu und andere gerissene Gruppen ihr Geschäft, prophezeit Hemanta Mishtar vom „König-Mahendra-Trust für Naturschutz“.

Der Tourismus wird im Gegenteil sogar eine unnötige Belastung der lokalen Wirtschaft sein, glauben Kenner der Region. Bikas Pandey, ein Ingenieur, der an kleinen Projekten zur Energieerzeugung im Mustang-Tal mitarbeitete, sieht vor allem ein Brennstoffproblem. „Energie ist dort das grundlegendste Problem. Die Lobas brauchen zwei Tage, um zu den südlich liegenden Wäldern zu gelangen, von wo sie Feuerholz beschaffen.“ Ein einziges Essen für eine Touristengruppe zu kochen kann Brennstoffmengen verbrauchen, mit denen eine Bauernfamilie eine Woche lang auskommt, schätzen Experten.

Die Regierung ist aber offenbar bereit, diese Bedenken in den Wind zu schlagen, und stellt schon Berechnungen über die Höhe der möglichen Einnahmen an. Die Ausländer seien sogar bereit, 5.000 US-Dollar zu zahlen, um nach Mustang zu gelangen, informierte ein Sprecher des Innenministeriums.

Es wird zwar noch zwei Monate dauern, bis die Regierung die Tore völlig öffnet. Die Anträge um Besuchsgenehmigungen stapeln sich allerdings schon. Mit Lo, wird in den Reisebüros versichert, könnte endlich das regelmäßige Touristenloch während der Monsunzeiten überbrückt werden. Die Region liegt genauso wie Ladakh im indischen Unionsstaat Kaschmir im Regenschatten des Gebirges.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen