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Schweigevergütungen

■ Eine Diskussionsveranstaltung in der Jüdischen Volkshochschule

Bereits nach einer Stunde Diskussion hatte Michel R. Lang, jüdischer Autor, Übersetzer in Deutschland und scharfer Kritiker der deutschen Friedensbewegung, keine Lust mehr zum Reden. »Das sind immer die gleichen Diskussionen. Die bringen nichts. Das ist Intellektualismus, sonst nichts.«

Niemand hatte von der Diskussionsveranstaltung Der dumme Fuß will mich nach Deutschland tragen, die vergangenen Donnerstag in der jüdischen Volkshochschule stattfand, die Versöhnung der deutschen Friedensbewegung mit den Juden in Israel erwartet. Das Ziel Nea Weissberg-Bobs, Initiatorin dieser »Auseinandersetzung um Deutschland« und Herausgeberin eines Buches, das im Kontext von deutscher Wiedervereinigung und Golfkrieg Gespräche mit deutschsprachigen Juden und Briefe von Nichtjuden dokumentiert, und ihrer Mitmoderatorin Magdalena Kemper (SFB) war viel bescheidener: verschiedene Generationen von Deutschen und jüdischen Opfern, (ehemalige) Kommunisten aus dem Osten, friedensbewegt Sozialisierte und Freunde des Staates Israels an einem gemeinsamen Ort miteinander sprechen zu lassen.

Solange es um die Vergangenheit, um die Nazizeit und die beiden Nachkriegsdeutschlands geht, scheint dem Dialog mittlerweile nur mehr wenig im Wege zu stehen. So berichtet Helmut Essinger, Jahrgang 1931, Professor am Institut für interkulturelle Erziehung der Freien Universität Berlin, von seinen Erinnerungen an den alltäglichen Antisemitismus im Dritten Reich und analysierte die mangelnde Zivilcourage der Deutschen wie gehabt als Folge des verfluchten Untertanengeistes.

Von beeindruckender Ehrlichkeit waren die Ausführungen Dieter Huhns, heute Dekan an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin. In den fünfziger Jahren hatte er in Kiel Jura bei zwei ehemaligen Nazi-Juristen studiert, bei dem Privatrechtler Karl Larenz und dem Verwaltungsrechtler Ernst Forsthoff. Nicht nur er, auch eine Reihe heutiger Prominenter wie zum Beispiel der derzeitige Verteidigungsminister Stoltenberg wurden von diesen Schreibtischmördern ausgebildet. »Wir haben sie nicht zur Rede gestellt. Wir wußten, daß Larenz bereits während der Nazizeit die ‘Staatslehre Hegels‚ gelehrt hatte und daß sich seine Karriere nach 1945 nahtlos fortsetzte, als wäre nichts geschehen. Jetzt erst, durch die Maueröffnung, ist mir einiges klar geworden: Wir haben eine Schweigevergütung bekommen. Leute wie ich haben eine Karriere gemacht, weil sie die Tätergeneration nicht zur Rede gestellt haben.« Mit dem Blick auf die gegenwärtige Stasi-Diskussion vertrat Dieter Huhn die Meinung, zur Zeit fände eine »Abrechnung mit den falschen Leuten« statt.

Als Diskussionssprengstoff erwies sich, wie zu erwarten war, weniger Juden und Nichtjuden als das Verhältnis verschiedenster Personen zum Staat Israel und zur israelischen Politik. Es mußte sich der 71jährige Schauspieler aus Ost-Berlin und »berüchtigte Interpret politischer Lieder«, wie jemand aus dem Publikum hinzufügte, Gerry Wolff, von Michel R. Lang als »charakterloser Jude« beschimpfen lassen, weil er 1967 eine Erklärung jüdischer DDR- Bürger unterschrieben hatte, die den Sechs-Tage-Krieg verurteilte. »Ich habe nur an dieser Diskussion teilgenommen, um ihnen heute diese eine Frage stellen zu können? Wie stehen Sie heute dazu?« Gerry Wolff gab eine kurze und unaufgeregte Antwort. Er stehe auch heute noch dazu, der Sechs-Tage-Krieg sei falsch gewesen und hätte die Probleme nur verschlimmert. Aus dem Publikum kommen Protestfragen und aufgeregte Ausrufe, wie sie immer und immer auf dieser Art von Diskussionsveranstaltungen zu hören sein werden: »Wissen Sie, was es bedeutet, in Israel zu leben, 40 Jahre lang, umgeben von Feinden?« Die meisten der Anwesenden wissen das nicht. Aber das hält diese »anderen« nicht davon ab, sich weiterhin auf die Seite der Pazifisten mit ihren »lächerlichen weißen Bettlaken« zu schlagen — bei gleichzeitiger Kritik an der Friedensbewegung, die »Israel vor Ausbruch des Golfkrieges mehr als Täter als als Opfer« (Sarah Haffner aus dem Publikum) gesehen habe. Weder für den sozialdemokratisch gesinnten Dieter Huhn noch für Gerry Wolff und den Pädagogen Helmut Essinger gab es während des Golfkrieges eine Alternative zur Massenmanifestation gegen den Krieg.

Und hier endete dann auch erwartungsgemäß der Dialog, der an diesem Abend vielleicht zum ersten Mal jenseits der Betonpositionen seit dem Ende des Golfkrieges ernsthaft versucht wurde. Als einer der Gründe für die Unmöglichkeit der Kommunikation kristallisierten sich nicht zuletzt erneut die Orte Israel und Europa heraus. Denn wer Angehörige in Israel hat, für den oder die war und ist es undenkbar, auf die Gefahr eines Atombombenabwurfs auf Israel mit dem Pazifismus und dem Friedensruf »Kein Krieg für Öl« zu reagieren. Gabriele Mittag

Die Veranstaltung wird voraussichtlich im Juni fortgesetzt

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