: Spätes Happy End
Fassbinder auf der Berlinale ■ Von Wolfgang Jacobsen
Die Berlinale befand sich im Umbruch — 1969. Manche Kritiker spotteten, sie befinde sich in einer existentiellen Krise. Und doch: Die politische Radikalität der Themen und der anarchistische Blick der Inszenierungen bestimmten einige Filme, die 1969 auf der Berlinale gezeigt wurden. Greetings von Brian de Palma, Zelimir Zilniks Rani Radovi, der zu aller Überraschung mit dem Goldenen Berliner Bären ausgezeichnet wurde, und auch Peter Zadeks Ich bin ein Elefant, Madame markierten die thematischen Pole der Wettbewerbsbeiträge. Es gab einen „roten“ Faden; Aufbruchstimmung, die Selbstreflexion einschloß, ohne politische Positionen zurückzunehmen. Aber alles schien auch ein Spiel: Die Inszenierungen benutzten Genremittel, kombinierten Slapstick mit Western und surrealistische Effekte mit dokumentarischem Material. Eine Anarchie der Mittel, aber in sich ein Stil.
Neben Zadeks Film lief im Wettbewerb erstmals ein Film von Rainer Werner Fassbinder. Eigentlich hatte die Auswahlkommission für Peter Fleischmanns Jagdszenen aus Niederbayern als zweiten deutschen Festivalfilm votiert, doch nachdem die Produktion den Film von sich aus zurückgezogen hatte, mußte neu über die deutschen Beiträge diskutiert und entschieden werden. Neben Fassbinders Film waren im Rennen Rudolf Thomes Detektive, Hansjürgen Pohlands Auf Scheißer schießt man nicht und Gustav Ehmcks Spielst du mit schrägen Vögeln. Die Auswahlkommission war keineswegs einig in ihrem Urteil; die Protokolle belegen eine hitzige und kontroverse Diskussion. Einige Mitglieder bezeichneten alles, „was sie in diesem Streifen sahen, als 'Zitate‘ anderer Regisseure“, so ein Notat im Protokoll. Ein anderes Auswahlmitglied stellte die Frage, „ob dieser Streifen überhaupt diskutabel sei“. So setzte man Fassbinders Liebe ist kälter als der Tod zunächst auf die Warteliste und beschloß, eine endgültige Entscheidung erst dann zu fällen, wenn die anderen deutschen Filme gesichtet seien. Das endgültige Votum für Fassbinders Film war denkbar knapp; eigentlich lagen alle „Kandidaten“ gleichauf, und man muß wohl die Nominierung von Fassbinders Film für den Wettbewerb dem Festivalleiter Alfred Bauer zuschreiben.
Die Geschichte von RWF auf der Berlinale hatte begonnen. Und die ersten Pressefotos von ihm zeigen einen selbstbewußten Mann in schwarzer Lederjacke, der für seinen Film und seine Idee vom Filmemachen spricht.
Rücktritt der Internationalen Jury, Demissionsangebote des Festspielleiters und des Geschäftsführers der Festspiele GmbH, Abbruch des Wettbewerbs und damit keine Preisverleihung — das waren die äußeren Zeichen der Krise 1970. Die Internationalen Filmfestspiele Berlin standen am Rand der Auflösung. Über der Berlinale lag die exaltierte Nervosität der in diesem Jahr in Berlin kulminierenden Studentenunruhen, die längst den Campus verlassen hatten und sich in allen gesellschaftlichen Bereichen bemerkbar machten.
Von dieser Stimmung blieben auch die Filmfestspiele nicht verschont, und es kam nicht von ungefähr, daß sich der eigentliche Skandal an einem Film entzündete, der eine (authentische) Greueltat amerikanischer Soldaten in Vietnam thematisierte, die Vergewaltigung und Ermordung eines vietnamesischen Mädchens: O.K. von Michael Verhoeven.
Bevor es zum Eklat kam, waren die ersten Wettbewerbsfilme schon im Zoo-Palast gelaufen. Sie hatten weitgehend enttäuscht und wenig oder nur ärgerliche Resonanz gefunden. Lediglich Fassbinders Warum läuft Herr R. Amok? und Out of it von Paul Williams erhielten positive Kritiken; Fassbinders Film galt sogar auf Anhieb als preisverdächtig.
Es ist heute kaum mehr nachvollziehbar, wie profund die Verständigungsschwierigkeiten zwischen den streitenden Parteien waren, nachdem die Jury Verhoevens Film vom Wettbewerb ausgeschlossen hatte und sich der Streit zuspitzte, bis die Jury schließlich zurücktrat und der Wettbewerb abgebrochen wurde.
Schon vorher hatte Fassbinder — wie einige andere Regisseure auch — seinen Film zurückgezogen, aus Solidarität mit dem angegriffenen Filmemacher, eine Entscheidung, die die politische Reglementierung, die von Teilen der Jury betrieben wurde, konterkarieren sollte. Fassbinder selbst nahm an den hektischen Sitzungen dieser Tage teil; ein Filmemacher, der festivalpolitisch Stellung bezog.
1971 war Fassbinder mit einem neuen Film im Wettbewerb; aber die Aufnahmen von Whity war zurückhaltend. Erst 1974 avancierte er bei Presse und Publikum zum Favoriten für den Goldenen Bären. Man erwartete die Festivalauszeichnung für Fontane Effi Briest, und war empört, als ein Überraschungssieger verkündet wurde und der Große Preis der Berlinale an Ted Kotcheffs The Apprenticeship of Duddy Kravitz ging. Von der Blindheit der Juroren war die Rede. Man sprach von einem schwachen Jurypräsidenten, den argentinischen Regisseur Rodolfo Kuhn, und wie so oft in solchen Situationen kochte die Gerüchteküche, und Informationen über den Entscheidungsprozeß der Jury sickerten durch. Es gibt keine Belege für diese öffentlichen Spekulationen, aber eine der deutschen Juroren soll in der entscheidenden Sitzung der Jury geäußert haben, daß ihm persönlich Fassbinders Film zwar gut gefalle, nach dem Reglement aber nur ein Film prämiert werden dürfe, der breite Publikumsschichten anspreche, was man bei Fassbinders Film bezweifeln könne. Eine sehr eigenwillige Auslegung des Jury-Reglements, durch keinen Paragraphen abgesichert. Es war wohl ein filmwirtschaftliches Kalkül, das Fassbinder um den erwarteten und verdienten Goldenen Bären brachte.
1978: Deutschland im Herbst. Elf Filmemacher reagieren — methodisch unterschiedlich — auf die politischen Ereignisse des Herbst 1977 in der Bundesrepublik: die Entführung und Ermordung des Arbeitgeber- Präsidenten Hanns Martin Schleyer, die Selbstmorde von Stammheim. Der Film ist zu sehen als ein Kaleidoskop von Befindlichkeiten, der angestrengten Aufmerksamkeit, der wachen Selbstverletzung. Die intensivste Episode stammte von Fassbinder, eine autobiografische Aufnahme, von radikaler Offenheit, zerrissen in der Ambivalenz von Angst und Aggression. Die Entscheidung des Festivalleiters Wolf Donner, diesen Film zu zeigen, war nicht ohne Risiko. Das politische Klima war gespannt, Diskussionen um den Terrorismus blieben nicht frei von Verdächtigungen. Das Wort „Sympathisanten“ war gegenwärtig. Bei der Preisverleihung sprach die Internationale Jury, der Patricia Highsmith als Präsidentin vorstand, eine besondere Anerkennung für Deutschland im Herbst aus.
Neun Jahre nach dem Eklat um O.K. von Michael Verhoeven, 1979 also, war es wieder ein Vietnam- Thema, daß die Berlinale in Turbulenzen brachte. Michael Ciminos The Deer Hunter sorgte für Wirbel, nachdem die Delegation der UdSSR noch am Abend der Vorführung „entschiedenen Protest“ gegen die Aufführung des Films einlegte, da er dem Reglement widerspreche, „zum besseren gegenseitigen Verstehen zwischen den Völkern“ beizutragen. Die sowjetische Delegation verließ die Filmfestspiele, die Filme der UdSSR wurden aus dem Programm zurückgezogen, und auch andere osteuropäische Delegationen schlossen sich dem sowjetischen Protest an.
Wie immer bei solchen Eklats verlagerte sich die Aufmerksamkeit. Fassbinders Die Ehe der Maria Braun galt als einer der besten Filme des Festivals; das Premierenpublikum applaudierte, die Kritiker lobten. Bei der Preisverleihung erhielt Hanna Schygulla einen Silbernen Bären als beste Schauspielerin, ein Silberner Bär ging auch an das gesamte Team des Films. Hanna Schygulla widmete in einer spontanen Rede den Preis ihrem Regisseur — eine sehr persönliche Geste. Es konnte keinen Widerspruch geben bei der Verleihung des Goldenen Berliner Bären an Peter Lilienthals David. Das wurde als ein Signal der Jury gewertet, den sanften Humanismus dieses Films der Ausweglosigkeit des Deer Hunter gegenüberzustellen.
Die Filmfestspiele 1982 standen im Zeichen des bundesdeutschen Films. Fünf Filme liefen im Wettbewerb, drei davon außer Konkurrenz. Insgesamt waren fast 90 Filme aus der Bundesrepublik in den verschiedenen Sektionen des Festivals programmiert. In diesem Jahr ging der Große Preis des Festivals an Fassbinders Die Sehnsucht der Veronika Voss, was von den Journalisten und Gästen allgemein als eine 'Wiedergutmachung‘ an Fassbinder interpretiert wurde. Fotos zeigen Fassbinder als strahlenden Sieger, gelöst, verschmitzt, souverän: den Goldenen Berliner Bären hält er hoch — ein spätes Happy End zwischen RFW und der Berlinale.
Fassbinder zu Ehren hat Moritz de Hadeln einen Kinosaal im Haus der Kulturen der Welt den Namen Fassbinders gegeben: Reminiszenz, Hommage und Verpflichtung.
Morgen: Berlin Alexanderplatz — ein Essay von Susan Sontag
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