: Sehnsucht nach Befreiung von dem Fluch
■ betr.: "Erinnyen oder Erinnern" (Kongreß: "Zur Psychoanalyse deutscher Wenden"), taz vom 17.2.92
betr.: „Erinnyen oder Erinnern“ (Kongreß: „Zur Psychoanalyse deutscher Wenden“),
taz vom 17.2.92
„Erinnys böse Seele zur Herrschaft aufgestiegen — mit in Blut getunktem Schwert stachelt sie die Bewohner der Erde zur Rache auf“, haben wir, erschauderte Kinder im Zweiten Weltkrieg in Zoltán Kodálys Schülerchor gesungen.
Auch heute scheint die ausweglose griechische Tragödie — die den Einzelnen überfordert — als einzig angemessene, mythische Dimension des deutschen Wende-Dramas zu sein. Aus Ute Scheubs authentischem Bericht erreicht jeden, der sich davor nicht sperrt, die tiefe Sehnsucht nach der Befreiung von dem Fluch. Ein Tribunal der Vernunft der Göttin Pallas Athene wird herbeigesehnt, das die uferlose Schuld-Rache-Schuld...-Kette unterbricht und ein oberstes Urteil spricht, das ins Heute mit
—gewissenhafter Überprüfung der Vorwürfe,
—Differenzierung in der Beurteilung,
—und Verhältnismäßigkeit in den Konsequenzen als Nahziel und mit Versöhnung als Fernziel übersetzt werden könnte. Magda Szabo, Adenbach
Endlich einmal ein Bericht, der nicht nur Stimmungen, sondern auch Inhalte und Argumente darstellt. Gerade deshalb kann und muß ich dem Grundgedanken der Berliner Sozialphilosophin und Psychologin, Brigitte Rauschenbach, widersprechen, soweit er in dem taz-Artikel über den Kongreß referiert wurde.
Wenn sie eine Analogie herstellt zur antiken Tragödie, dann unterstellt sie, daß „Schuld“, „bewußt subjektive, biographienbezogene“ Aspekte, „kollektives Gedächtnis“ u.a. psychische Formen eine „Genealogie des Verbrechens“ mit „Wiederholungszwang“ erzeugen. Aber es sind heute nicht die Erinnyen als Verkörperung des Gewissens und als Rächerinnen im Täter, also die Psyche der Menschen, ihre Subjektivität, die einen Kreislauf des Verbrechens hervorbringen, sondern die leichenträchtigen Folgen des immergleichen Kapitalkreislaufs, der auch einen mörderischen Konkurrenzkampf gegen sozialistische Staaten inszenierte und gewonnen hat. Ohne den Bezug zu diesem objektiven Mechanismus muß die Reflexion subjektiver Befindlichkeiten und der Schuld einzelner schief werden, das wahre Grauen verharmlosen. Denn dieser Mechanismus wirkt hinter dem Rücken der Menschen, die ihn in Gang halten, während sie zugleich seine blinden Opfer sind. Er kann also nicht direkt erfahren werden, auch wenn seine Folge die Psyche verunstaltet und wie ein „Erbfluch“ wirkt. Diese Wirkung einer entfremdeten Ökonomie — der sich die Subjekte hüben wie drüben, früher wie heute, anpassen mußten und weiter müssen, um überleben zu können — ist auch der Grund, warum die Erinnyen sich noch nicht durch das „epochale Gesetz der Vernunft“, also durch Legalität und Justitiabelität, in die Eumeniden, die Wohlmeinenden, verwandeln können. Die Erinnyen sind leider immer noch notwendig — anders als Frau Rauschenbach es wahrhaben will, nämlich als das unglückliche Bewußtsein fortbestehender Herrschaft, die als verinnerlichte Herrschaft von PsychologInnen und taz-JournalistInnen nur „aufgewühlt“, aber nicht zur Darstellung gebracht und kritisiert wird. Bodo Gaßmann, Redakteur der 'Erinnyen‘ Zeitschrift für materialistische Ethik, Garbsen
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