SCHÖNER LEBEN
: Kein Skandal im Sperrbezirk

■ Wie das Bremer Publikum sein Theater im Stich läßt

Den besten Theatermenschen fällt, sobald sie in Bremen eintreffen, nichts mehr ein. Und warum? Das

Publikum hier ist nicht zum geringsten Skandal imstande. Bei der jüngsten Premiere blökten ein paar Lämmer Buh, aber warte nur, balde trotten sie wieder unverdrossen in die Theaterkoppel.

Was ein rechtes Schauspiel werden will, das fürchtet seine Zuschauer und lebt von dieser Furcht. Es braucht, um sich aufzuraffen, ein Publikum, welches sich keinesfalls zufriedenstellen, nur spalten läßt: in Jubler und entschlossene Garderobenmörder, die erst einmal durcheinanderbrüllen mangels Gelegenheit. Der geheime Traum jeden Stücks ist ja der Tumult; was abgepfiffen wird, ist schon unsterblich. Wir aber haben: unheilbare Manieren statt Premierenfieber und demzufolge Feierabend statt Theater.

Eins laßt Euch dringend gesagt sein von Euerm immerzu verhinderten Skandalblatt: Erst wenn einmal an jedem Premierenabend die Fahrensleute mit Ständen und Buden auf den Ehrwürden Goetheplatz ziehen; erst wenn sie dort Trillerpfeifen und Knallfrösche feilhalten und Stinkbomben nebst Knaur's Schimpfwörterlexikon für spezielleren Unmut, dazu Wasserpistolen und Heftpflaster zur Förderung der publikumsinternen Debatte; erst dann kommt ein Leben in die Bude, wo sich nette Leute Gute Nacht sagen. Sollte sie uns nicht einmal den Pfifferling des Skandals wert sein? Manfred Dworschak