SCHÖNER LEBEN: Kein Skandal im Sperrbezirk
■ Wie das Bremer Publikum sein Theater im Stich läßt
Den besten Theatermenschen fällt, sobald sie in Bremen eintreffen, nichts mehr ein. Und warum? Das
Publikum hier ist nicht zum geringsten Skandal imstande. Bei der jüngsten Premiere blökten ein paar Lämmer Buh, aber warte nur, balde trotten sie wieder unverdrossen in die Theaterkoppel.
Was ein rechtes Schauspiel werden will, das fürchtet seine Zuschauer und lebt von dieser Furcht. Es braucht, um sich aufzuraffen, ein Publikum, welches sich keinesfalls zufriedenstellen, nur spalten läßt: in Jubler und entschlossene Garderobenmörder, die erst einmal durcheinanderbrüllen mangels Gelegenheit. Der geheime Traum jeden Stücks ist ja der Tumult; was abgepfiffen wird, ist schon unsterblich. Wir aber haben: unheilbare Manieren statt Premierenfieber und demzufolge Feierabend statt Theater.
Eins laßt Euch dringend gesagt sein von Euerm immerzu verhinderten Skandalblatt: Erst wenn einmal an jedem Premierenabend die Fahrensleute mit Ständen und Buden auf den Ehrwürden Goetheplatz ziehen; erst wenn sie dort Trillerpfeifen und Knallfrösche feilhalten und Stinkbomben nebst Knaur's Schimpfwörterlexikon für spezielleren Unmut, dazu Wasserpistolen und Heftpflaster zur Förderung der publikumsinternen Debatte; erst dann kommt ein Leben in die Bude, wo sich nette Leute Gute Nacht sagen. Sollte sie uns nicht einmal den Pfifferling des Skandals wert sein? Manfred Dworschak
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen