: utiefst geängstigt vom Titel hockte ich im bremischen Dunkel des Schauspielhauses und argwöhnte: drei Stunden Muffel gram. Falsch! Bald war ein fröh lich' Glucksen um mich, auf der Bühne hoppelten Gnome und ver sanken Pianisten und wurden frömmlerische Großmütter aus gewatscht, und ich gluckste mit und schrieb mir schon mal auf: Was für eine wunderbare Barbara Bilabel, die
Aus deutschem Dunkel, und einer ganzen Ria Endres zum Trotz, solch eine deftige Commedia mit Senf schöpfen kann. Aber falsch! Bald nach der Pause erkrankte mein Vorsatz, auch einmal zu jubeln, an schwerer Langeweile und verstarb. Aber der Reihe nach.
Zwei Mädchen sehen wir, die in ihre Welt, auf daß es eine dunkeldeutsche sei, präpositional ziemlich eingeklemmt sind: erst unter Opas Fuchtel, dann gegen irre Nonnen, dann neben Paps im Lotterbett, dann um Gregor, den Bomberpiloten, im Clinch, und schließlich mittels einer Konservenbüchsenbombe gefällt. So geht es, wenn man sich als Figur bei Ria Endres verdingt; vorher aber hat man immerhin Gelegenheit, viele grauslig schöne Sätze zu sagen. „Aus deutschem Dunkel“ ist eine sehr musikalische Litanei, wo alle alle quälen, aber lie
ben. Das gibt grelle Klangfarben her; Endres macht regelrechte Arien draus und feine Ensembles — und fertig ist leider die Leier: aus jeder Pinkelflasche stinkt es faschistoid, und die Legion Condor fliegt über den Wassern.
Vier Jahre lang lag das Stück herum, bis Barbara Bilabel es donnerstags im hiesigen Schauspielhaus herausbrachte: herrlich aufgeputzt wie einen Karnevalswagen, Kennzeichen D, und vollbeladen mit Trash-Gags und Revuemätzchen und schrillen Klamotten. Eine wunderbare Zwergin (Monika Maria Ullemeyer) stolziert herum als Pissekellnerin oder auch Eichhörnchen, ein Klavierspieler samt Flügel steckt tief im Bühnenboden, und mit viel Geknarz werden Moderkulissen verschoben. Immerzu geht was schief wg. V-Effekt, und überhaupt werden wir auf's Kitzligste mit Komikalien gepudert. Kurz: Ein starkes Stück von Bilabel, sich über ein schwaches von Endres lustig zu machen, ganz ohne es zu verspotten. Die Regisseurin hat das deutsche Dunkel nicht als Theaterstoff der Ria Endres, sondern klaren Blicks als ihr Problem behandelt. Es ist ein Dunkel, in dem sich außer ihr keine rechtschaffene Seele mehr verlaufen wollte.
Wenn Nelly (Cornelia Kempers) und Peggy (Ute Rauwald) mit Paps im Bett Spielchen machen, bevor sie ihn umbringen, zeigt Bilabel eine dermaßen lustige Gleichzeitigkeit von Wettröcheln, Inzest und Gummibärchen, daß Endres' fader Schrecken erst ein Leben kriegt. Umso klammer dräut er jetzt, je mehr Getöse gemacht wird, ihn auszuteiben aus diesem mopsfidelen Schmierentheater. Das ist, Sie ahnen es, das Karneval-Prinzip.
Wo es herrscht, ist es schwer, Schauspieler zu loben. Die kinetische Mechanik der Gesten, Schritte und Handgreiflichkeiten, wo ein Scherz den nächsten schon umtreibt, die halten sie prächtig in Gang. Sobald sie aber „richtig“ spielen, sobald sie sich ernsthaft in Endres sprachverzückten Rosenkranz einleben, fallen sie dessen dramatischer Armut anheim.
Daran scheitert nach der Pause die ganze Inszenierung. Da treten die beiden Frauen heraus aus den jugendlichen Absurditäten und hinein in den Ring, auf der Bühne: ein Schlammpfuhl, und kämpfen um Gregor, den Condor. Nachher sterben sie, und letzten Endes an zwei Soldaten. Leider nimmt, wer seine Figuren in derart sozialarbeitskompatible Problemstellungen zwingt, auch die Regisseurin in eine gewisse Fürsorgepflicht. Kurz: Bilabel stürzte aus ihrer Distanz mitten ins Stück und versank in psychorealem Mitleid. Was hätte sie auch anfangen sollen mit dämlichen „Nato-Soldaten“ und supersinnbildlichen Knallbüchsen? Da gähnten die Leute längst. Am Ende gab es viel verdienten Applaus fürs Ensemble, einige Buhs für Bilabel und geradezu häßliche Worte für die Autorin. Manfred Dworschak
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