: Öko-Design mit Aha-Effekt
■ Design macht Produkte verkäuflicher. Overstyle Produkte für übersättigte Märkte bringen zusätzliche 10 bis 15 Prozent Mehrproduktion, zehn Prozent mehr Rohstoffe und mehr Müll. Angesichts globaler ...
Design macht Produkte verkäuflicher. Overstylte Produkte für übersättigte Märkte bringen zusätzliche 10 bis 15 Prozent Mehrproduktion, zehn Prozent mehr Rohstoffe und mehr Müll. Angesichts globaler Umweltprobleme fragen viele nach dem Sinn von Design und der Moral von Designern.
VONGÜNTERHORNTRICH
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achsende Müllberge, überlastete Deponien, saurer Regen, verpestete Luft und weiter unübersehbare Auswirkungen unserer Industrialisierung haben dazu beigetragen, daß Konsumenten sensibler mit der Produktqualität, insbesondere mit der Verpackung und dem Abfall umgehen. Hier spiegeln sich, wie bei anderen gestalteten Produkten, die geistigen und wissenschaftlichen Erkenntnisse der Gesellschaft wider. Veränderte Lebensweise und Lebenseinstellung insbesondere zur Natur und Umwelt schlagen sich in den Firmenphilosophien und als Folge auch in einer veränderten Produktkultur nieder. Design hat dabei die Aufgabe, ein Kommentator der jeweiligen Zeit zu sein. Nicht „journalistisch“ infolge eines Geschehens, sondern parallel als eine Art Seismograph. Sie registrieren, wohin sich die Warenwelt bewegt.
Wende in der Designentwicklung
Bisher hat das Marketing „bedarfsdeckend“ gewirkt. Inzwischen spielen Designer den „Zeitsurfer“, um zehn Jahre vor dem Bedarf anzukommen und festzustellen, ob ein Produkt überhaupt noch gebraucht wird. Ein Designer muß sich fragen, was passiert morgen, übermorgen und überübermorgen? Unsere Hausaufgaben zum Recycling haben wir doch alle längst gemacht; Schnee von gestern ist nicht aufzufrischen, und auch das Bewußtsein der Verbraucher hat sich schon geändert.
Wir stehen an einer Wende in der Designentwicklung. „Abschied vom Marketing“. Allerdings war es bisher nicht so, daß die Gestalter nur auf den Bedarf der Menschen hin orientiert waren, ihn geweckt und befriedigt haben. Um längerfristig planen und Aussagen über Ökologie und Ökonomie treffen zu können, muß ein Designer sich heute immer mehr mit den Fragen des Gebrauchs beschäftigen. Ein Beispiel ist das Fax- Gerät: Welche Energiekosten konnten seit seiner Einführung nicht gespart werden! Welche Art von Produkten werden zukünftig überhaupt gebraucht, um miteinander kommunizieren zu können? Vielleicht braucht man in einigen Bereichen gar keine Produkte mehr, sondern es reicht ihre Illusion, der Weltraumflug im Disneyland, Rimini im Hallenbad.
Designer sollen Produkte verhindern
Im 19. Jahrhundert wurde das Maschinenzeitalter verlassen, 1930/40 entwickelten sich die ersten globalen Industrien, ab 1940/50 wurde der Markenartikel erfunden. Dann kam die Dekade des Designs, und inzwischen sind wir im Informationszeitalter. Jetzt brauchen wir vielfältige Informationen, um ein Produkt zu gestalten. Die reine Form, ob es matt oder schwarz ist, fliegt oder steht, wird zweitrangig gegenüber der Frage der Akzeptanz und Produktphilosophie. Nach Schaumstoffen und runden Sofas in den 50ern, den 100 Tagen Memphis kommt jetzt die Zeit der Ökologie. Designer werden Produkte verhindern, und sie werden dafür Geld bekommen. Sie fangen jetzt schon an, Produktlinien zu durchforsten und nach dem Gebrauch zu suchen.
Weltkonzerne reduzieren im nächsten Jahr ihren Verpackungsaufwand um 50 Prozent. Verpackte Produkte verursachen zwar unter Umständen weniger Aufwand bei Transport und Lagerung; bei der Rückgabe der Verpackung an der Kasse wird aber mehr Personal gebraucht. Mehr Personal kann mehr beraten, ökologische Produkte brauchen Beratung, der Kreis schließt sich. Wir brauchen in Zukunft ein ganz anderes Verkaufsverhalten, ein neues Angebot, eine neue Präsentation. Und wir brauchen eine für jeden Dienstleister, auch Designer, zugängliche Datenbank.
Der Designer hat besonders in der Planung und im Entwurf, also in der ersten Lebensphase eines Produkts, Möglichkeiten, auf die Umweltverträglichkeit seiner Designentwicklung Einfluß zu nehmen. Hierbei sollte er den gesamten Lebenszyklus eines Produkts — von der Gewinnung der Rohstoffe über Herstellung, Vertrieb, Handel und Gebrauch bis hin zur Entsorgung und der Wiederverwertung — schon beim Entwurf und der Konzeption berücksichtigen. Er benötigt Informationen, die er von Herstellern, aus den Medien sowie über Marktforschungsinstitute erhält. Bei der Auswertung der Daten fällt auf, daß die Informationen häufig unterschiedliche Aussagen über die Umweltverträglichkeit der Produkte enthalten. Jede Lobby wird ihre gesamte Macht in die Waagschale werfen bei dem Bemühen, ihre Produkte als besonders umweltfreundlich erscheinen zu lassen. Der Produktgestalter ist also gewungen, zuverlässige Daten herauszufinden, da ein verträgliches Informationssystem, wie beispielsweise eine Datenbank, nicht zur Verfügung steht.
Der Aha-Effekt mit recyclebarer Qualität
Produktidentität und Markenbewußtsein werden nicht mehr über die typische Gestaltung einer Produktverpackung erreicht. Wenn alle Behältnisse gleich aussehen, können Produktaussagen nur über die graphische Gestaltung der Behälter verwirklicht werden. Aber auch bei Produkten kann der Aspekt des Mehrfachnutzens zur Anwendung kommen. Produkte, die nur partiell aus Verschleißteilen bestehen, können durch deren Auswechselbarkeit eine Verlängerung ihrer Lebensphase erfahren.
Der semantische Wechsel und die neue Warenästhetik müssen sich auch in der Oberfläche, der Farbe, dem Material der Produkte niederschlagen. Was eigentlich außer Trittbrettern, Parkbänken und Schallschutzwänden kann man noch mit kreislaufenden Recyclingmaterialien fertigen? Es gibt einen wunderbaren Aha-Effekt, wenn jemand gestalterisch in Bereiche vordringt, die der Ökologie immer fremd waren. Haben Designer nicht jahrzehntelang versucht, den Gebrauchern eine falsche Wertvorstellung nahezubringen? Glatte Oberflächen, keine Kanten, konstruktiv Unsichtbares. Sollte nicht im Gegenteil die recyclebare konstruktive Qualität sichtbar werden?
Der Autor ist Firmeninhaber von „Yellow-Design“ Pforzheim und Lehrstuhlbeauftragter an der Fachhochschule Köln.
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