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Kategorie I

Zu allen Zeiten beliebt: Der Schauspieler Heinz Rühmann wird neunzig  ■ Von Elmar Kraushaar

Heinz Rühmann kennt sein Publikum. 1968 erzählt er einem Journalisten, warum er eine gerade auskurierte Krankheit geheimgehalten hat: „Hätte die Öffentlichkeit das erfahren, dann hätten viele Leute gesagt: Wenn dem das passiert, wann passiert uns das, sind wir denn auch schon so alt?“ Die Menschen lieben ihn, sind dem kleinen Komödianten nahe, fast eins mit ihm wie mit kaum einem anderen Idol der letzten fünfzig Jahre.

Dafür hat der heute vor neunzig Jahren in Essen geborene Schauspieler auch hart gearbeitet, in mehr als neunzig Filmen spielte er, fast die Hälfte davon entstand in der Zeit von 1933 bis 1945. Nie mimte er den Helden oder Draufgänger, und richtig böse oder schlecht konnte er auch nicht sein, fast immer blieb er in seinen Rollen und Figuren haarscharf am Original: Der Mann von nebenan, der Kleine, Geduckte, der es dennoch schafft, mit Tücke oder Verkleidung, per Zufall oder Glück, mit dem Schalk im Augenwinkel oder ein paar Tränen, kurz weggewischt. So spielte er den Kanzleivorsteher und Staubsaugervertreter, den Junggesellen und Handwerksburschen, den Buchhalter und Briefträger, den Primaner in der Feuerzangenbowle, den Hauptmann von Köpenick, den Eisernen Gustav, den Braven Soldaten Schwejk.

Auch Adolf Hitler liebte den kleinen Mann. Oft ließ er sich Rühmann- Filme in privater Runde vorführen und amüsierte sich köstlich. Das zahlte sich aus: In den Listen, mit denen Hitlers Propagandaminister Goebbels alle Schauspieler des Dritten Reichs kategorisierte, stand Heinz Rühmann ganz obenan, Kategorie I, neben ein paar wenigen anderen Günstlingen wie Zarah Leander oder Lil Dagover beispielsweise. Deren Beschäftigung war ohne Ministererlaubnis gesichert, sie durften filmen am laufenden Band.

Heinz Rühmann war ständig im Einsatz, nicht in den Propagandastreifen und auch nicht in den ideologiegewaltigen Historienschinken, sein Platz war in der Unterhaltung. In sauberen Drei-Zimmer-Wohnungen, im ordentlichen Reihenhaus, auf sonniger Landstraße, ganz im Alltag des gewöhnlichen Deutschen und doch fernab jeglicher Kriegsrealität, ohne Bomben und Ruinen, ohne Hakenkreuzfahne und ohne Hitler- Gruß. Etwa die Hälfte aller während des Dritten Reichs gedrehten Filme waren derlei Komödien und Unterhaltungsfilme. Die waren „kriegswichtig“. Das jedenfalls bestimmte Goebbels Anfang der vierziger Jahre: „Die geistige und kulturelle Betreuung des Volkes wird bei längerer Dauer des Krieges immer kriegswichtiger. Unser Volk bei guter Laune zu halten, ist kriegswichtig.“ Die Besucherzahlen in den Kinos bestätigten den Willen Goebbels. Sie verdoppelten sich zwischen 1939 und 1943. Und die dienstbaren Künstler dankten noch lange nach Kriegsende dem „kulturverständigen“ Sprachrohr Hitlers. „Im Grunde war es ja ein Glück, daß sowohl Hitler als auch die anderen NS- Größen, vor allem Goebbels und Göring, Freunde der Kunst waren“, erinnert sich Lil Dagover in ihren 1979 veröffentlichten Memoiren: „Wer von uns die 'richtige Großmutter‘ hatte und friedlich blieb, der hatte es gut.“

Auch Rühmann blieb friedlich. Als er zunehmend unter Druck geriet, weil er in erster Ehe mit einer Jüdin verheiratet war, suchte er Hilfe ganz oben, bei Hermann Göring, dem zweiten Mann im Dritten Reich. „Sehen Sie zu, daß Ihre Frau einen neutralen Ausländer heiratet“, beschied der, „das ist die einfachste Lösung! Meinen Segen haben Sie.“ Zu dem Segen erhielt Rühmann eine Devisenausfuhrgenehmigung, die es dem Folgsamen erlaubte, fortan monatlich 350 Reichsmark seiner nun Ex-Ehefrau nach Schweden zu überweisen.

Einige andere Prominente der Zeit, die ebenfalls jüdische Ehepartner hatten, handelten ähnlich: Hans Moser, Theo Lingen, Paul Henckels Viele andere mußten fliehen. Goebbels rühmte sich einmal, 3.000 Filmschaffende aus dem deutschen Film „entfernt“ zu haben. Einige wenige waren zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Der populäre Schauspieler Joachim Gottschalk scheidet im November 1941 gemeinsam mit seiner jüdischen Ehefrau Meta und Sohn Michael aus dem Leben. Da er sich nicht von seiner Frau und dem Sohn trennen wollte, hatte Goebbels ein völliges Film-Verbot für ihn verfügt.

Heinz Rühmann bemühte die Machthaber noch einmal in ganz eigener Sache, 1943, nachdem die Aufführung seines Films Feuerzangenbowle verboten worden war. Die Darstellung des Lehrers in der leichten Komödie paßte nicht in das Pädagogen-Bild der Zeit. „Pfeiffer mit drei f“ packte sich die Filmrollen ins Gepäck und fuhr im Sonderzug von Berlin ins Führerhauptquartier nach Ostpreußen. Nach der Privatvorführung für Göring benachrichtigte der sofort seinen Führer: „Wir haben uns auf die Schenkel geschlagen!“. und Hitler befahl umgehend: „Dann soll er sofort anlaufen.“

„Das ging schneller, als ich dachte“, erinnert sich Rühmann lakonisch an den außergewöhnlichen Vorgang in seinen 1982 veröffentlichten Memoiren. Ansonsten bleiben die Erinnerungen an die große Zeit recht bescheiden, frei von Zweifeln und Irritationen. Nichts Außergewöhnliches in der breiten Memoiren-Literatur von Rühmann und seinen Kollegen. Da reiht sich eine Anekdote an die andere, kleine Geschichten um „großartige Schauspieler“, dazwischen ein paar Widrigkeiten der Zeit und ein paar Schmankerl zur Rechtfertigung, immer ähnlich gestrickt. Ein verunglückter Hitler- Gruß wie bei Gustav Knuth, wird zum Beweis für den inneren Widerstand ebenso wie die Beziehungen, die Olga Tschechowa spielen läßt, um ihrem jüdischen Bankier die Flucht zu ermöglichen. Sie alle erscheinen plötzlich ganz klein, ganz ohne Verhältnis zur Macht ihrer Popularität und wie die Mächtigen damit operierten. 1945, vor dem Entnazifizierungs-Ausschuß, wird Rühmann gefragt, warum er denn so viele Filme während der Kriegsjahre gedreht hätte. „Ich bin nun mal Schauspieler und spiele gern“, lautete die einfache Antwort.

Da ist er wieder ganz nahe dran an seinem Publikum, an seinen Verehrern. Und deshalb liebten sie ihn, weil er so war — so bescheiden und so ganz ohne Bedeutung — wie sie alle. Deshalb lieben sie ihn noch heute, schließlich hat er es geschafft, danach, wieder oben zu sein, ganz ohne Bruch. Mit dem Willen zur rechten Anpassung an die Verhältnisse. „Nein“, hat Heinz Rühmann geantwortet, als er vor einigen Jahren im Fernsehen gefragt wurde, ob er etwas anders machen würde, wenn er sein Leben noch einmal leben könnte: „Ich würde alles genauso machen.“

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