Waffenstillstand in Berg-Karabach?

■ Die Erfolgsmeldungen der iranischen Vermittler könnten sich bald als falsch erweisen/ Aserbaidschanische Milizen und Freischärlerverbände handeln auf eigene Faust/ Vance vermittelt

Berlin (afp/taz) — Die Hoffnungen auf einen Waffenstillstand im Krieg um Berg-Karabach sind in den letzten Tagen gewachsen. Regierungsvertreter Armeniens und Aserbaidschans sollen sich unter iranischer Vermittlung am Sonntag auf einen Waffenstillstand geeinigt haben. Auch die Wirtschaftssanktionen wollen die beiden Republiken gegenseitig angeblich aufheben. Dies jedenfalls sickerte in Teheran durch. Hinzu kommt, daß die 48 Mitgliedsstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in den nächsten Tagen eine Delegation nach Aserbaidschan und Berg-Karabach schicken wollen. Sie soll vom früheren US-Außenminister und UN-Sonderbeauftragten Cyrus Vance sowie von dem tschechoslowakischen Außenminister Jiri Dienstbier geleitet werden. Die Frage bleibt, ob sich die schönen Pläne für einen Waffenstillstand tatsächlich realisieren lassen.

Denn die jugoslawische Erfahrung lehrt, daß Abkommen, die nicht sogleich publiziert werden, wie dies nun im Falle Armenien-Aserbaidschan der Fall ist, nicht viel wert sind. Hinter der Unlust zur Veröffentlichung steckt nämlich die Angst der jeweiligen Regierungen vor der eigenen Öffentlichkeit. In der zur Zeit hier wie dort aufgeputschten Atmosphäre wird Kompromißbereitschaft nämlich als Kapitulation vor dem Feind empfunden. Und diesem Verdacht möchte sich natürlich keine der Führungen aussetzen.

Der iranische Außenminister Ali Akbar Welajati, der als Vermittler tätig ist, erkärte am Sonntag in Teheran: Datum, Dauer und Bedingungen des Waffenstillstands seien genau definiert. Die Konfliktparteien hätten sich auf den Austausch der Kriegsgefangenen und der Gefallenen festgelegt. Heute solle sein Stellvertreter zu weiteren Vermittlungsgesprächen nach Erewan und Baku reisen, sagte Welajati weiter. „Es gibt Hoffnung auf Frieden in naher Zukunft“, bekräftigte er. — Milizen ohne Kontrolle. Der Optimismus des iranischen Vermittlers sei in Ehren. Doch es gibt Punkte, die wie im Falle der Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien Jugoslawiens zu Beginn der Vermittlungsgespräche im Berg-Karabach-Konflikt bisher nicht verhandelt wurden. Es hat den Anschein, als wollte man die Fehler aus dem Balkanland wiederholen. So ist zum Beispiel die Kontrolle der Freischärlertruppen durch die jeweiligen Regierungen nicht gewährleistet. In Aserbaidschan bilden Nationalarmee, Sonderkommandos des Innenministeriums, Volksfronteinheiten und regionale Milizen aller Art ein ähnlich buntscheckiges Bild wie die Milizen auf serbischer Seite im Krieg gegen Kroatien. Seitdem der frühere Präsident Mulatibow gestürzt ist, sind in Aserbaidschan die Befehlsstränge noch unübersichtlicher geworden. Noch existiert die alte Regierung weiter, die Volksfront hat aber an der Front weit stärker das Sagen. Was ist unter diesen Bedingungen ein von der aserbaidschanischen Regierung ausgehandelter Kompromiß wert?

Die am Samstag ausgehandelte Feuerpause wurde folgerichtig gleich wieder gebrochen. Dieser Mechanismus ist aus Jugoslawien nur allzu bekannt.

Es ist inzwischen von vielen Seiten bestätigt, daß trotz der Installierung eines Oberkommandos in der aserbaidschanischen Stadt Agdam, die von der Volksfront kontrolliert wird, viele Milizen auf eigene Faust handeln. Da sich die Milizen durch Überfälle auf die Kasernen der GUS- Truppen (der ehemaligen Sowjetunion) Ausrüstungen selbst requirieren, sind manche von ihnen nicht einmal in bezug auf die Waffen von irgend jemand abhängig.

Es ist sogar schwierig geworden, die GUS-Armee selbst einzuschätzen. Die armenischen Behörden in Berg-Karabach teilten mit, aserbaidschanische Einheiten hätten am Samstag etwa 20 T-72-Panzer der ehemaligen Sowjetarmee erbeutet. Die Armenier beschuldigen darüberhinaus die Einheiten der 4. Sowjetarmee der direkten Parteinahme für die Aserbaidschaner. Im Gegenzug behaupten aserbaidschanische Behörden, die 7. Armee der ehemaligen Sowjetunion unterstütze durch Panzereinsätze die armenischen Operationen im Nordosten Aserbaidschans.

Es wird also trotz der aus Teheran dringenden Erfolgsmeldungen noch viel Arbeit für den UN-Sonderbeauftragten Cyrus Vance und dem CSFR- Außenminister Dienstbier geben, um festzustellen, wer in den beteiligten Ländern überhaupt an Vermittlungsgesprächen beteiligt werden soll. Vance hatte in Ex-Jugoslawien schon — relativ erfolgreich — vermittelt. Dienstbier wird die Delegation der 48 KSZE-Staaten leiten. Und vielleicht wird schon geklärt, ob UN-Truppen gerufen werden. er