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Die Task Force und der Jakobiner

Eine Expertenkommission mit dem Regel-Revoluzzer Michel Platini entwarf ein Neun-Punkte-Programm zur Steigerung der Attraktivität des Fußballs/ Entscheidung im Mai  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) — Die 14. Fußball- Weltmeisterschaft, da sind sich die meisten Beobachter einig, war ein Graus. Strikter Defensivfußball bestimmte im Sommer 1990 das Bild in den italienischen Stadien, überfüllte Mittelfelder erstickten jeden Ansatz von Spielfreude im Keim, Tore waren Mangelware, und das Elfmeterschießen setzte sich immer mehr als letzter und einziger Trumpf der Minderbemittelten und Verängstigten durch. Einzig der afrikanische Fußball in Gestalt Kameruns verbreitete einen Schimmer von Hoffnung, doch der öde, torarme und elfmeterbestimmte Afrika-Cup im Januar ließ auch diesen wieder verblassen.

Grund genug für die Herren des Fußballs, darüber nachzugrübeln, wie man ihren Sport ein wenig aufmöbeln könne. Vor allem Joseph Blatter, Generalsekretär der FIFA, war besorgt über den Niedergang, und schon im Dezember 1990 berief er eine Kommission, die den Fußball des nächsten Jahrtausends — attraktiv, rasant und offensiv — konzipieren sollte.

Zwölf Weise des runden Leders bildeten die „Task Force 2000“: Blatter selbst, der UEFA-Vorsitzende Lennart Johansson, Tognoni und Gagg von der FIFA, Gerhard Aigner von der UEFA, der Brasilianer Jorginho für die Spieler (der eigentlich vorgesehene Rudi Völler bekam keine Erlaubnis von seinem Club AS Rom), Luca di Montezemolo, Organisator von Italia 90 für die Sponsoren, Graham Kelly vom englischen Fußballverband, Josep Lluis Nunez, der Präsident des FC Barcelona, der dänische Schiedsrichter Peter Mikkelsen, der Journalist Di Cesare und der revolutionärste von allen, Michel Platini, Nationaltrainer Frankreichs.

Vergangene Woche präsentierte das All-Star-Team neun Vorschläge, die am 30. Mai in Cardiff vom IFAB (International Football Association Board) begutachtet werden. Das IFAB wurde 1872 in London gegründet, besteht aus Vertretern der vier Fußballverbände von Wales, Schottland, Nordirland, England sowie vier FIFA-Delegierten und ist die einzige Institution, die über die Änderung der Fußballregeln zu befinden hat. Jedes Jahr treffen sich die acht Herren, um über eventuelle Innovationen zu beraten und diese gegebenenfalls mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit zu beschließen. Am folgenden 25. Juli können die neuen Regeln dann schon in Kraft treten.

Die Task Force 2000 war entsprechend ihrem Auftrag vor allem bemüht, das Spiel zu straffen und dem Zeitschinden zu Leibe zu rücken. Erstes Opfer der Kommission ist der Rückpaß zum Torwart. Nimmt der Keeper einen Ball, der ihm vom eigenen Mitspieler mit dem Fuß zugeschoben wurde, in die Hand, erhält er die gelbe Karte. Nur mit dem Kopf oder der Brust gespielte Bälle darf er fangen. Diese Regel wurde bereits im letzten Jahr bei der U-17-WM ausprobiert und sorgte für eine Reduzierung des Zeitverlustes um 30 Prozent. Eine Verwarnung soll es, analog zu anderen Sportarten wie Basketball und Handball, geben, wenn ein Akteur nach einer Spielunterbrechung das Spielgerät mutwillig vom Tatort entfernt.

Fußball-Jakobiner Platini sorgte indes für wesentlich weitergehende Anregungen. Ein besonderer Dorn im Auge war ihm das unsägliche Elfmeterschießen, das unterlegene Teams dazu verleitet, sich rigoros einzumauern und auf pures Glück bei den Strafstößen zu vertrauen. Die Kommission schlägt vor, sofort zum „sudden death“ zu schreiten, wenn es nach 90 Minuten unentschieden steht. Wer das erste Tor schießt, hat gewonnen. Das Argument, daß dabei das Fernsehen nicht mitspiele, weil es feste Übertragungszeiten benötige, wischte Platini mit dem Hinweis auf den Tennissport vom Tisch.

Auch den Platzverweis will Platini reformieren. Die Task Force plädiert für eine Zeitstrafe (10 Minuten) nach absichtlichen Fouls analog zum Eishockey, gleichzeitig soll die Missetat mit einem Elfmeter bestraft werden, egal ob das Foul im Strafraum oder außerhalb des Strafraums stattfand. Begründung: „Heute“, so Platini, „tut die Mannschaft, die auf zehn Spieler reduziert wird, nichts anderes, als sich zu verteidigen und das Spiel kaputtzumachen.“ Der vermeintliche Vorteil für den Gegner sei in Wahrheit gar keiner.

Vor allem diese fünf Vorschläge— Rückpaßverbot, ruhender Ball bei Unterbrechung, sudden death, Zeitstrafe und Elfmetermehrung — stellen im Vergleich zu früheren Anregungen des FIFA-Präsidenten Havelange wie die absurde Torvergrößerung oder die Vierteilung der Spielzeit, einen mächtigen qualitativen Sprung dar und scheinen durchaus geeignet, besseren Spielfluß und größere Attraktivität zu bewirken. Neben solch drastischen Veränderungen befaßte sich die Kommission aber auch mit kleineren Problemen. So soll es künftig erlaubt sein, statt sechzehn Spieler 20 oder 22 auf der Ersatzbank zu plazieren, um den Verschmähten den demütigenden Gang auf die Tribüne zu ersparen. Der indirekte Freistoß wird abgeschafft, was vor allem die Schiedsrichter begrüßen dürften, und endlich wurde auch die „Lex Maradona“ geschaffen — für die „Hand Gottes“ allerdings ein wenig spät: Wer versucht, ein Tor mit der Hand zu erzielen, fliegt vom Platz.

Den meisten Unmut erregte, zumindest in Italien, die Idee, jenem Spieler gelb zu zeigen, der mit erhobenem Arm eine angebliche Abseitsstellung anzeigt, um Schieds- und Linienrichter zu beeinflussen. „Das ist eine instinktive Geste“, erregte sich Fabio Capello, „wir Italiener sind so gemacht. Wenn jemand etwas zu sagen hat, zeigt er es sofort an.“ Der Trainer des AC Mailand weiß, wovon er spricht. Sollte der Vorschlag durchkommen, wird er wohl künftig ohne seinen Kapitän und Libero Franco Baresi auskommen müssen, der Gerüchten zufolge mit nach oben gerecktem Arm geboren wurde.

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