: 100 Tage Siechtum der Opposition
■ Kudellas Leistungsliste — eine Demonstration der Einfallslosigkeit
Die alte Regel gilt von Bonn bis Bremen, schwache Regierungen und schlechte Opposition gehören zusammen wie die Wüste und der Sand. Die Bremer Gedenkreden zum 100-tägigen Siechtum beider zeigen den Grad der gegenseitigen Infektion überdeutlich.
Seit dem Neumann-Nölle Coup ist es aus mit Bremens CDU: Es war eine politische Eselei sondergleichen, den farblosen Nölle zum Rathauseroberer hochzujubeln. Der Wahlerfolg von damals war noch nicht einmal das Einrücken in die traditionelle bremische CDU-Schwäche. Nein, siegen kann die CDU in Bremen nicht, wohl aber koalieren wenn sie es klug anstellt, und natürlich mit der SPD. Die FDP wird ihr was husten. So wohl wie bei der SPD geht es der sonst nirgends.
Wer vor der Wahl den SPD- Klüngel aus dem Rathaus fegen will, um nach der Wahl mit ihm ins Bett zu gehen, muß schon ziemlich dämlich sein. Mit einem vernünftigen politischen Kurs von Anfang an auf die Koalition mit der SPD zu setzen, ist für die CDU in Bremen der einzige Weg aus der Opposition.
Was ist der CDU denn in 100 Tagen Opposition eingefallen? Kudellas Leistungsliste ist nichts als eine Demonstration der Einfallslosigkeit. Außer ihm hat keiner die „wichtigen Anstöße“ in der Kultur-und Wirtschaftspolitik gemerkt. Ein Anstoß setzt etwas in Bewegung. Preisfrage an die CDU: Was ist durch euch in den letzten hundert Tagen in Bewegung geraten? Von der armen Helga Trüpel und ihrer Ressortmißgeburt zu reden, wirkt nur noch peinlich. Wer den Streit um den Artikel 16 Grundgesetz zum Zentrum seiner Oppositionsarbeit machen will, kriegt keinen Preis für originelles Denken. Die Schmäh auf Grobis Bankpräsidentschaft ist alte einfallslose Masche: Wenn wo ein Sozi etwas wird, muß man drauf hauen. Als Politikersatz ist das zu wenig.
Der Ampel ist aber politisch beizukommen. In der Bildungspolitik hat die Koalition zum Beispiel nichts als Egoismen ausgeheckt. Gymnasien für die FDP und Stadtteilschulen für die Grünen. Bildungspolitischer Separatismus macht sich breit. Wie wäre es, wenn die CDU auf ihr einstiges bildungspolitisches Friedensangebot an die SPD zurückkäme. Inzwischen ist die Bundesspitze der Arbeitgeberseite voll auf Kurs und fordert die Verbindung von Gymnasien und Berufsschule, wie es Wesensmerkmal bremischer Schule ist. Statt alte FDP-Parolen herzuplärren, könnte die CDU in Bremen der SPD zwischen elitären grünen Sonderschulen und FDP-Gymnasien es mulmig werden lassen. Dazu sind aber originellere Köpfe nötig als die der Motschmanns.
Natürlich hat Kudella auch gemerkt, daß Hennemanns Großmannssucht für Bremen kritisch wird. Die Treuhand hat vorm Schlimmsten noch bewahrt. Es ist schon abenteuerlich, wenn der Stadtstaat Bremen in seiner Pleite für die größte deutsche Werftenkonzentration geradestehen soll. Bremen bürgt für den Vulkan und für die Rüstungskonversion bei Atlas Elektronik und am Ende noch für die Arbeitsplätze auf Mecklenburgs Werften. Das aufzudröseln, nachdem der Senat nur zusieht, könnte Oppositionsleistung sein, statt sich im HIBEG- Dschungel mitzuverstricken.
Projektchen wie die Hemelinger Marsch sind längst kein Ausweg mehr. Es wächst der niedersächsische Wirtschaftsgürtel rund um Bremen immer dichter. Bremen wird schamlos als Bezugsadresse angegeben. Schon wird darüber nachgedacht, bremische Wohnenklaven in Niedersachsen zu errichten. Die souveräne Enge Bremens kommt ans Ende. Ein neuer Flächenstaat ist nicht in Sicht. Wenn schon der Ampel nichts einfällt, die Opposition ist in der glücklichen Lage, mit originellen Ideen nicht gleich beim Wort genommen zu werden. Verbundlösungen mit Niedersachsen und Teilhergabe hinderlicher Souveränitätsrechte sich auszudenken, setzt voraus, daß in der Opposition gedacht wird.
Nein, er ist nicht verkalkt, der alte Müller-Herman, wenn er die Wurzel allen CDU-Übels bei Neumann sieht. Dem geht es gut in Bonn. Der Kanzler lohnt Diensteifrigkeit. Wenn sich in Bremen wieder ein Drittel aller Wählerstimmen sammeln läßt, ist Neumann es zufrieden. Kudella hilft ihm, Regierung zu vermeiden. Dummköpfe wachsen dort am besten nach, wo Dauerregierung und Daueropposition sich wechselseitig bedingen. Dabei hätte eine kluge CDU nicht nur die Chance, sich angesichts einer farblosen Ampel zu profilieren, auch mitzuregieren wäre noch drin, wenn Neumann und sein Clan nicht so beharrlich für die Ampel sorgten.
Horst-Werner Franke,
Senator a.D.
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