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„Könecke“: Der Film zum Schweineleben

■ Statt Wurst-Symposion in Walle: Der Kampf der Plüschsau Könecke um Freiheit / 104 Minuten unerschrockene Videokunst

Am Nikolaustag 1991 beschloß der Initiativkreis zur Durchführung des Internationalen Wurst- Symposions in Walle, dem damals bereits flüchtigen Fleischermeister Karl Könecke die Schirmherrschaft anzutragen. Leider gab es aus dem Wurst-Underground keine Reaktionen. Nachdem auch noch sämtliche 3O ABM-Anträge zur inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitung des wissenschaftlichen Fachkongresses abschlägig beschieden wurden, konstatierte das Sekretariat am 8. März in der GaDeWe: „Unser kühnes Projekt ist derzeit nicht in Bremen realisierbar. Wir werden aber weiter daran arbeiten!“

Zum Trost für die vielen enttäuschten Hanswurste und Hannamostrichs nahm man aber das Angebot der Jungfilmer-Initiative AKAS (Arbeitskreis angewandter Sozialwissenschaftler) e.V. an, das Video Könecke — Der Film am vorgesehenen Tagungswochenende im benachbarten Kairo vorzuführen; und wie zu erwarten, wurde die Präsentation dieses spät-tschernobylistischen Buntfilmklassikers im Stile des Cafe Noir zu einem gesellschaftlichen Ereignis: Hatten doch rund zwanzig famous potatoes aus ganz Bremen über zwei Jahre lang an dem Werk gearbeitet und dabei einen Produktionsetat von 5OO oder gar 8OO Mark niedergemacht.

Die Herren überwiegend in Schwarz, die Damen in den aktuellen Frühlingsfarben und dazu eine farblich harmonierende Bowle: Die rund zweihundert Zuschauer im Kairo gaben sich, einmal wohlgestimmt, widerstandslos einem Werk hin, welches in der Filmkunst nicht seinesgleichen hat. Das mögen folgende Zitate aus dem Film belegen, die sicher bald als geflügelte Worte in alle Welt flattern werden: Haben Sie mal an einem Hundeohr gerochen? Oder: Hat Freiheit Dornen wie die Rosen oder gibt es sie in Dosen? Auch: Die Liebe ist logisch — da kann die ganze Herde klagen.

Nebenher wird auch noch die doppelte Realitätskrise der Physik beschworen. In durchaus gehässiger Weise werden die Imbißstuben der Fa. Becker mitsamt ihrer ff Kundschaft denunziert; leitmotivisch durchzieht den Film der Kampf der Plüschsau Könecke um Freiheit und Schweinewürde. Zwischendurch taucht mit Susanne Rau eine leibhaftige Göttin der deutschen Trash-Erotik auf. Die beliebte Combo Graue Zellen unterhält mit volkstümlichen Liedern, ein dilettantischer Prophet besäuft sich völlig würdelos und zermanscht dabei original Dickmann's.

Für IgnorantInnen vergehen dabei auch gelegentlich mal zehn Minuten mal wie zehn Stunden, doch gewinnen sie durch diese Verwirrung der Zeitachsen immerhin eine Menge Realzeit für das richtige Leben: Haben Sie schon mal einen Countdown von 5OO.OOO abwärts erlebt? Könecke zeigt's Ihnen!

Aus der Sinnsucher-Fraktion gab es nach Schluß der Vorführung Hilferufe bei der Telefonseelsorge, andere beschieden sich mit knappen Äußerungen wie zum Beispiel „Asche“ (Detlef Mathiesen, stellv. Beiratssprecher in Walle) oder urteilten: „Noch zwei Weizenbier!“ (Jürgen Ihde, Rechtsanwalt).

Derzeit sammelt der AKAS noch Projektgelder für Könecke III bis V. Gesucht wird dabei auch nach der Freiheit im Osten, weil — da ist sie noch schlachtfrisch warm. UrDrü

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