: Werk für Fernsehelektronik am Ende?
■ Ende Juni werden weitere 435 Beschäftigte des Werkes entlassen werden/ Bis zum Jahresende stehen insgesamt 800 Entlassungen an/ Im Betrieb findet zur Zeit eine regelrechte Entsolidarisierung unter den Beschäftigten des Werkes statt
Oberschöneweide. Schon einige Male sind Betriebsrat und Belegschaft des Ostberliner Werks für Fernsehelektronik (WF) in Oberschöneweide die unmittelbar bevorstehende Privatisierung angekündigt worden.
So recht mochte hier deshalb niemand mehr der Ankündigung der Geschäftsleitung auf der Betriebsversammlung am 9.3. glauben, daß das Werk zum 31.3. des Jahres verkauft werden soll. Fest steht nur, daß die insgesamt rund 800 Entlassungen bis Jahresende von Treuhand und Geschäftsleitung mit dem Verweis auf nichtbenannte Käufer begründet werden, die das Restwerk mit lediglich 900 Beschäftigten übernehmen wollen (siehe taz vom 13.3.). Und fest steht darüber hinaus auch, daß die ersten 435 Entlassungen, die zum 30. Juni erfolgen, dem Betriebsrat am Freitag, den 13. März auf den Tisch geflattert sind.
Zum Aberglauben neigen jedochdie am meisten gefährdeten KurzarbeiterInnen des Werks nicht. »Wir glauben einfach an gar nichts mehr«, sagt M., eine von ihnen, die sich momentan in Kurzarbeit und Weiterbildung befindet. Eine Gruppe von Kurzarbeitern hatte sogar die Büros der Geschäftsführung und des Betriebsrates besetzt, um eine gerechtere Verteilung der Kurzarbeit im WF durchzusetzen. »Wir wollten, daß Kurzarbeit auf alle gleichmäßig verteilt wird, damit alle pro Monat mal drankommen.« Kein Vorschlag der realisierbar ist. Denn Kurzarbeiter, Angestellte und Arbeiter seien hier gespalten, so der Betriebsrat. »Neulich gab es sogar fast Prügel.«
Vor allem die Arbeiter der im Werk verbliebenen Farbbildröhrenproduktion sollen es gewesen sein, die allergisch auf den Vorschlag der gleichmäßigen Verteilung von Kurzarbeit reagiert haben. Da die Röhre zur Zeit so gut wie nicht verkauft wird, ein konkretes Angebot zur Privatisierung nicht auf dem Tisch liegt, die Zukunft des WF also in den Sternen steht, sehen sie keinen Anlaß, ihren Lohn in der verbleibenden Zeit durch anteilige Kurzarbeit zu schmälern.
Die Angestellten dagegen, die auch im WF bei der Mehrheit der Arbeiter als überflüssiger Wasserkopf gelten, von denen auch die Geschäftsleitung ständig nur als Abwicklungsmasse spricht, die befürchten müssen, unter den Entlassenen stark vertreten zu sein, wären schon eher zu gemeinsamem Handeln zu bewegen. »Aber ohne die Produktionsarbeiter läuft hier eben nichts.«
Vom Betriebsrat halten die meisten nicht sehr viel. »Was kann der schon tun?« Da hat man sehr genau registriert, daß zum Beispiel die 3.000 WF-Beschäftigten, die bereits im Dezember 1991 entlassen wurden, ihre im Sozialplan ausgehandelten Abfindungen nicht — wie vereinbart — Ende Februar 1992 erhalten haben. Skeptisch reagiert man ebenfalls auf die Ankündigung, daß Treuhand, Geschäftsführung und Betriebsrat am Anfang dieser Woche einen Interessenausgleich ausgearbeitet haben, der für die im Sommer des Jahres Entlassenen auf Wunsch statt der Abfindung eine anteilig von Arbeitsamt und Treuhand finanzierte Umschulung vorsehen soll. »Worauf soll man sich hier denn umschulen lassen«, sagt man. »Industrie gibt es doch hier gar nicht mehr.«
Die Skepsis dieser Kurzarbeiter ist nicht zu überbieten. Freilich ist bei einer Restbelegschaft von momentan 1.700 von ehemals 9.000 Beschäftigten inmitten der sich umstrukturierenden Industrieregion Treptow/Köpenick mit allein 18.000 Arbeitslosengeldempfängern, 7.000 Vorruheständlern, 17.000 Menschen in Umschulung, 3.500 Kurzarbeitern und 4.500 Menschen in AB- Maßnahmen kaum Optimismus zu erwarten. Karin Schulz
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