: Komische Neue Welt
Zwei Off-Premieren in Berlin: Das Theater zum westlichen Stadthirschen und das Zan Pollo stellten sich mit neuen Stücken vor ■ Von Sabine Seifert
Die Geschichten vom Mars sind die schönsten. Mal wieder hat es ein Paar auf den unwirtlichen Planeten verschlagen. Und da man aus seinem Leben auch dort etwas machen muß, eröffnet man die erste Imbißbude auf dem Mars. Die Frittenhöhle kommt einem Kasperletheater gleich; ein auf den Fingern der Spieler aufgespießtes Würstchen (der Mann) und ein Brötchen (die Frau) zanken über die Kundschaft, die bestimmt nicht kommen wird, erschießen vor lauter Schreck einen einheimischen Fremden und sehen zu, wie der Erdball explodiert: „What a wonderful world“ wispert leise ein Kontrabaß, während die Frau lakonisch kommentiert: Das wird eine schlechte Saison. Amerikanische Gründerzeit, Pfadfindermythos und Westernshow in einem.
Die stummen Städte, die neueste Produktion des Berliner Theaters zum westlichen Stadthirschen, entstand nach den als „Science fiction“ bezeichneten Kurzgeschichten von Ray Bradbury. Elisabeth Zündel gehört als Schauspielerin seit langem zum Ensemble; Fern von Japan hieß das erste Stück, bei dem sie Regie führte. Auch diesmal bedient sie sich der Techniken des No-Theaters, die sie mit burlesken Spielweisen europäischer Zunft zu einem gemindert absurden Theater verbindet.
Eine imaginäre Katastrophe hat die Menschen ins Universum katapultiert; die Zeitgrenzen außer Kraft gesetzt, fahren sie dort vor und zurück durch die Geschichte. Da will der Kaiser von China im vierten Jahrhundert einen Mann hinrichten lassen, der einen Flugapparat erfunden und mit Erfolg ausprobiert hat. Der Flieger könnte ja dem Monarchen Steine auf den Kopf schmeißen. Andere Erdbewohner sind wiederum auf dem Mars gelandet und haben sich in ihrem Marsianischen Eigenheim ein quadratlangweiliges Leben eingerichtet. Nur in ihren Träumen quält sie manchmal die Erinnerung an „menschliche“ Zeiten, dann funkt ihnen das Lied Love me tender dazwischen. (Ein Kontrabassist begleitet den Abend mit dem musikalischen Understatement.) Ihre Gefühle sind dem Mann und der Frau unheimlich. Da taucht ein imaginärer Dritter auf in ihren Gesprächen. Beide rollen den Fuß übertrieben ab und kommen kaum von der Stelle; ihre Bewegungen wirken mechanisch. Wenn sie sich beim Namen nennen, ganz normale amerikanische Vornamen, dann knallen diese in die unwirkliche Stimmung. Komische Neue Welt und ein köstliches Eifersuchtsdrama.
Cooper senior ist dagegen schon lange mutterseelenallein mit sich auf dem fremden Planeten, er wartet. Nach fünfzig Jahren kommt der erlösende Anruf, es ist Cooper junior, sein zweites Ich, dessen immer häufiger werdende Anrufe sich zu Telefonterror auswachsen. Nicht alle Szenenfolgen sind so dicht und komisch wie die beschriebenen. Aber was der Regisseurin, die selbst mitspielt, mit ihren drei Schauspielern zunehmend gelingt, ist, die sprichwörtliche Lakonie der amerikanischen Prosa mit verschiedensten theatralischen Mitteln umzusetzen.
Das Theater zum westlichen Stadthirschen liegt auf der Grenze zwischen Schöneberg und Kreuzberg, das Zan Pollo zwischen Schöneberg und Steglitz. Sie spielen in Fabriketagen, gehören zur Szene, zur etablierten Szene. Ihre Zuschüsse aus dem Subventionstopf für Freie Gruppen sind vergleichsweise hoch und stabil. Sie können seit Jahren eine stattliche Anzahl an Produktionen aufweisen, und es gibt Namen, die immer wiederkehren, Personen, die den Stil des Hauses mitgeprägt haben. Off-Theater mit literarischem Programm.
Zu einer Uraufführung hat das Zan Pollo Theater eingeladen. Tillmann Lehnerts literarische Blaubart- Variationen werden unter dem Titel Das 7. Zimmer von vier Männern (in weißen Anzügen) und vier Frauen (in schwarzen Kleidern bzw. Kostümen) in wechselnden Konstellationen durchgespielt (Regie: Ilona Zarypow). Kleine Sketche, kein großer Wurf.
Die (Yuppie-) Szene ist etwas in die Jahre gekommen; Mäner und Frauen, mit Sektglas und in gestyltem Outfit, auf der Pirsch. Aber wie immer, wenn Geilheit auf die Bühne transportiert werden soll, wirkt es furchtbar verklemmt. „Du stehst vor mir im Spalier praller Eicheln“, sagt da eine Frau, die gleich darauf eine Fotze knallen hört, und so geht es weiter, angestrengt und keinesfalls obszön. Manche der kleinen Plänkeleien, Zänkereien und Schwachsinnsdialoge haben durchaus Witz, sind rhythmisch präzise gespielt. Da reden sich zwei nach dem Motto „Red keinen Blödsinn, ich kenn dich doch!“ um Kopf und Kragen; natürlich wissen sie nichts voneinander, und je weniger der eine dem jeweils anderen Glauben zu schenken scheint, desto abstruser und wahrhaftiger werden die Geschichten, bis sie sogar einander den Ehebruch gestehen, den der andere aber natürlich, schon wieder um mehrere naseweise Längen voraus, in seine Geschichte eingebaut hat und so weiter.
Es gibt einen anderen Autor, der gleichfalls die eigene Szene porträtiert; bei Botho Strauß reicht es immerhin zu einem ganzen Stück. In der Berliner Schlußchor-Inszenierung steht Otto Sander vorm Spiegel und übt männliche Überzeugungskraft, die ihm nicht so recht gelingen will; mit Tillmann Lehnerts Sketchen verhält es sich ähnlich. Wer zuviel in den Spiegel schaut, sieht nur sich selbst. Das fällt fast immer zu Ungunsten des Betrachters und Betrachteten aus.
Die Stummen Städte nach Ray Bradbury. Regie: Elisabeth Zündel, Bühne: Urs Hildbrand, mit Dominik Bender, Ingrid Fink, Martin Schurr, Thomas Wegel, Elisabeth Zündel; Theater zum westlichen Stadthirschen, bis 3.Mai, Fr.—So., 20.30Uhr
Das 7. Zimmer. Aus dem Blaubart- Komplex von Tillmann Lehnert. Regie: Ilona Zarypow, Bühne: Anna Cumin, mit Friederike Luers, Isabella Mamatis, Anke Rupp, Marliese Sondermann, Bernhard Leute, Piotr Papierz, Werner Schuster und Jürgen Wink; Zan Pollo Theater, bis Ende Mai, Mi.—So., 20.30Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen