KOMMENTAR: Kanonenbootpolitik
■ Der UN-Sicherheitsrat beschließt Sanktionen gegen Libyen
Déjà vu — Mit zehn zu null Stimmen bei fünf Enthaltungen beschloß der UN-Sicherheitsrat ein Militär- und Luftfahrtembargo gegen Libyen. Grundlage der von den USA, Großbritannien und Frankreich eingebrachten Resolution bildet Kapitel 7 der UN-Charta, das Anwendung von militärischer Gewalt zur Durchsetzung von Resolutionen erlaubt. Aufgrund eben jenes Kapitels wurden nach dem Überfall auf Kuwait Sanktionen gegen den Irak verhängt und vor etwas mehr als einem Jahr auch kriegerisch durchgesetzt. Libyen im Gegenzug hindert in den letzten Tagen Ausländer am Verlassen des Landes. In dem nordafrikanischen Staat sollen über 10.000 Europäer, 500 bis 1.000 US-Amerikaner, 2.000 Kanadier und über 5.000 Asiaten leben. Parallelen zu dem irakischen Schacher mit festgehaltenen und zum Teil an strategische Punkte verschleppten Ausländern drängen sich auf. Folgt man dem Szenario, steht der nächste Krieg im Nahen Osten vor der Tür. Ein weiterer Krieg, der, wie vor einem Jahr demonstriert, wenig lösen und etliche neue Konflikte entstehen lassen wird.
Anders als vor einem Jahr unterstützt die Mehrheit der arabischen Regierungen diesmal nicht den Sicherheitsrat. Die Tatsache, daß Libyens arabische Nachbarn, Ägypten, Algerien und Tunesien, gegen das Embargo sind, dürfte dessen Durchsetzung erheblich erschweren. Die arabischen Regierungen verlangen, daß vor der Verhängung von Sanktionen eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag abgewartet wird. Dieses von allen beteiligten Seiten zumindest offiziell respektierte Gremium beschäftigt sich seit einer Woche mit dem Fall. Ein Urteil ist frühestens in einigen Wochen, vielleicht sogar Monaten zu erwarten. Auch dann ist nicht abzusehen, ob die libysche Führung, wie sie bisher beteuert, jede Entscheidung befolgen wird. Dennoch hätte aufgrund der aktuellen Situation für den UN-Sicherheitsrat eigentlich kein akuter Handlungsbedarf bestanden.
Die Libyen zugeschriebenen Anschläge auf einen Pan-Am-Jumbo über Lockerbie und auf ein Linienflugzeug der französischen Luftfahrtgesellschaft UTA forderten insgesamt 440 Todesopfer. Doch sie liegen drei beziehungsweise vier Jahre zurück. Libysche Soldaten halten zur Zeit keinen anderen Staat besetzt, wo sie — wie vor anderthalb Jahren der Irak in Kuwait — täglich Zivilisten quälen und morden. Libyen bedroht keine Nachbarstaaten mit modernsten (westlichen) Waffen, und ein Angriff gegen Israel ist aufgrund der großen Distanz praktisch ausgeschlossen. Muammar el-Gaddafi, dessen Armee 1988 im Tschad geschlagen wurde, schwingt keine Reden von der „Mutter aller Schlachten“, sondern verhält sich, wie ein arabischer Kommentator vor wenigen Tagen bemerkte, „wie eine eingeschüchterte Maus“.
Der am Dienstag gefällte Sanktionsbeschluß hätte nach einem Urteil aus Den Haag ebenso und dann erheblich glaubwürdiger gefaßt werden können. Daß die Vertreter der USA, Frankreichs und Großbritanniens ihren Resolutionsentwurf jetzt im Eiltempo durch den Sicherheitsrat peitschten, hat seine Gründe vor allem in innenpolitischen Erwägungen der drei Regierungen. In den USA und Großbritannien ist Wahlkampf, und die Kandidaten der Regierungsparteien wollen sich jetzt als Kanonenbootpolitiker profilieren, auch wenn sie damit den Richtern in Den Haag in den Rücken fallen. Die Hoffnung, mit dem Internationalen Gerichtshof könnte nun ein neutrales internationales Gremium Konflikte friedlich lösen, hat durch den Beschluß des Sicherheitsrates einen erheblichen Dämpfer erhalten. Thomas Dreger
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