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Pessach, Matze und koshere Lebensmittel

■ In zwei jüdischen Lebensmittelläden kaufen alle Juden, die was auf sich halten, in diesen Tagen Matze für Pessach Seit 1967 gibt es »Schalom« in der Wielandstraße/ Vorgestern eröffnete auch Adass Jisroel ein Geschäft in der Auguststraße

Mitte. Ob religös oder nicht, ob in Israel, Amsterdam, Berlin oder New York, in wenigen Tagen, am 17. April, feiern die Juden in der ganzen Welt das wichtigste Fest der jüdischen Geschichte: »Pessach«, den Auszug aus Ägypten.

Kein anderes Fest ist so beladen mit Symbolen wie dieser Tag und die Woche danach. Mit dem Auszug aus der Diaspora beginnt die Geschichte des Volkes Israels. Das symbolischste Nahrungsmittel in diesen Tagen ist die »Matze«, das ungesäuerte Brot. Weil der Auszug aus Ägypten so schnell gehen mußte, hatten die Israeliten damals keine Zeit, das Brot mit Sauerteig anzusetzen und gären zu lassen, sondern es wurde eilig aus Wasser und Mehl zusammengeknetet, war daher trocken, dünn und haltbar. Ohne Matze ist kein Pessachfest möglich, und kein Jude, der was auf sich hält, wird in der Pessachwoche ein anderes Brot zu sich nehmen als eben Matze. Aber wo gibt es die in Berlin?

Natürlich in jedem koscheren Lebensmittelladen, und von denen gibt es in ganz Berlin seit vorgestern zwei. Denn am Donnerstag eröffnete die Gemeinde Adass Jisroel im alten jüdischen Quartier in der Auguststraße einen neuen und sehr schönen Laden. Er heißt »Kolbo«, zu deutsch; »Alles drin«. Zu kaufen gibt es dort alles, was zur Versorgung eines jüdischen Haushaltes nötig ist, von koscheren Lebensmitteln, über Ritualien, bis hin zur koscheren Seife und zum koscheren Geschirrspülmittel. Sämtliche Lebens- und Bedarfsmittel — aus Israel, Österreich, Dänemark und USA, produziert unter Aufsicht des Rabbinats — sind »koscher lepessach«, das heißt rituell geeignet für das Pessachfest. Matze gibt es bei Kolbo in zwei Ausführungen. Die aus Amerika importierte Pfundpackung kostet 4,50 Mark, die handgemachte Matze aus Israel kostet 40 Mark.

Aber »koscher« ist weit mehr als Matze und das Verbot, Schweinefleisch zu essen. Schon alleine, um sich informieren zu lassen, lohnt ein Weg in die jüdischen Lebensmittelläden. Denn was »koscher« (rein) und was »t'rejfe« (unrein) ist, wird durch den Talmud und unzählige Bände von Gesetzesauslegungen bestimmt. Um es hier kurz zu machen: Milch, Fleisch und alle ihre Produkte dürfen weder zusammen gegessen, noch zusammen gekocht oder gelagert werden. Fleisch ist nur koscher, wenn es von gesunden Tieren, Wiederkäuern mit ganz gespaltenen Hufen, stammt, die nach dem Schächten völlig ausbluteten. Wein oder Matze sind koscher, wenn die Reben oder das Getreide von einem Acker stammen, der gemäß den Talmudregeln alle sieben Jahre brachliegt.

Der Geschäftsführer von Adass Jisroel, Mario Offenberg, betrachtet es als eine Aufgabe des Ladens, Berührungsängste von Nichtjuden gegenüber jüdischen Ritualen abzubauen. »Was wir brauchen ist«, sagt er, »eine neue Kultur der Normalität im deutsch-jüdischen Verhältnis.« Und dieser Meinung ist auch der Bürgermeister von Berlin-Mitte, Benno Hasse, der bei der Eröffnung meinte, daß »wir alles tun müßten«, damit jüdisches Leben in Berlin wieder »selbstverständlich« wird. Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte hat den Laden daher auch zu einer sehr »günstigen« Gewerbemiete abgegeben, die Umbau- und Renovierungskosten hat die Gemeinde durch Eigenarbeit versucht, niedrig zu halten.

Ohne ein neugieriges und unverkrampftes nichtjüdisches Publikum wird Kolbo allerdings auch keine Zukunft haben. Denn von den etwa 9.000 Juden, die in Berlin leben, halten sich höchstens ein Prozent an die Reinheitsgebote. Ein Lied davon singen kann der älteste jüdische Lebensmittelladen in Berlin, der nicht der Gemeinde gehört. »Wenn es Pessach nicht gäbe«, sagt der Besitzer von »Schalom« in der Charlottenburger Wielandstraße, ein frommer Jude aus der Tschechoslowakei namens Alexander Kalisch, »wären wir schon längst pleite.« Nur in diesen Tagen klingelt die Kasse, und ganze Lastwagenladungen von Matze — neun verschiedene Sorten — gehen über den Ladentisch.

Seit 1967 gibt es den Familienbetrieb, erst in der Kantstraße, später, weil das Haus abgerissen wurde, unter der S-Bahn-Brücke. Und immer steckte er in Geldschwierigkeiten, obwohl das Angebot von »gefillte Fisch«, Gewürzen, Süßigkeiten und Wein reichlich ist. Vor kurzem hat Kalisch eine Mieterhöhung aufgebrummt bekommen. 2.000 Mark muß er jetzt zahlen, wovon, weiß er nicht. Der Laden ist — und dies ist sein Manko — nur für Insider. Nichtjuden haben Schwellenangst, es ist ein Shtetl-anmutender Kramladen, dunkel und vollgepackt mit Kisten und Kästen, und dahinter thront die Mama, Edit Kalisch, rotwangig und mit geblümtem Hauskleid, die Fremde erst einmal mißtrauisch beäugt. Der Schalom-Laden ist ein durch und durch jüdischer Laden, jeder Kunde kennt hier jeden, es ist ein Sprachengewirr zu hören, Jiddisch, Tchechisch, Russisch — alles durcheinander. In seiner Mischung von Orient und Ostjudentum ist er das genaue Gegenteil vom modernen Kolbo in Berlin-Mitte. Zu hoffen bleibt, daß Kolbo eine Chance hat und Schalom nicht aufgibt. Anita Kugler

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