: Zum Weinen
■ Jüdische Emigranten überraschen Wahlergebnisse nicht
Schöneberg. Für die Ex-Mitglieder des Jüdischen Kulturbundes, die während der NS-Zeit emigrieren konnten, gab gestern die Stellvertretende Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Marianne Brinckmeier, im Rathaus Schöneberg einen Empfang. Nicht nur am Rande sprach man über die Wahl.
Ruth Anselm Herzog (Solotänzerin), USA: Mich überrascht diese Wahl nicht. Das Ergebnis habe ich vorausgesehen. Nicht nur Deutschland driftet wieder nach rechts, sondern die ganze Welt. Heute werden wieder die einfachen Lösungen gefragt, und die angeblich starken Männer bieten sie mundgerecht an. Ein neuer Nationalsozialismus wird nicht möglich sein, aber das Grundschema, erst Nichtdeutsche zu Fremden machen, sie dann diskriminieren, ausgrenzen und schließlich vertreiben, das betreiben die Rechtsradikalen mit Erfolg. Die Deutschen fallen immer wieder auf Rattenfänger herein, ich kenne kein Land, daß mit Ausländern so schlecht zurecht kommt. Das liegt daran, daß sie einfach nicht weltoffen sind, sie drehen sich doch schon nach jedem um, der anders aussieht. Mir kommt Deutschland sehr provinziell vor.
Hildegard Brilling (Sekretärin), Israel: Es hätte mich gewundert, wenn das Ergebnis anders ausgefallen wäre. Das war doch klar. Die Politiker und allen voran Helmut Kohl halten doch nur Fensterreden. Sie führen einen Populismus vor, deren Früchte andere ernten. Ich befürchte auch für die Berliner Wahlen einen Rechtsruck.
Harriet Isaack (Kostümschneiderin), USA: Ich bin froh, daß ich Amerikanerin geworden bin. Hier habe ich nur freundliche Deutsche kennengelernt, aber aus der Ferne gesehen machen sie mir Angst. Jetzt kommen sie mit der Wiedervereinigung nicht zurecht, und schon suchen sie wieder die Sündenböcke dafür woanders. Wir haben es gehört, über 2.000 Anschläge auf Ausländer alleine im letzten Jahr. Das ist doch zum Weinen. aku
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