: Bankrotterklärung
■ „Talk im Turm“, Sat.1, Sonntag, 22.10Uhr
Outing als Posse, als Entertainment. Voilà, es ist erreicht. Am Sonntag abend waren die Rollen gut besetzt: Rosa von Praunheim als militanter Schwuler: „Aber man wird doch als Homosexueller ständig diskriminiert“, die Politikerin Hanna- Renate Laurien, christdemokratisch: „Ich betone die Toleranz vor verschiedenen Lebensformen, aber ich stehe zum Grundgesetz, das Ehe und Familie unter besonderen Schutz stellt“, die Autorin Regina Faerber: „Man verliebt sich doch in den Menschen und nicht in das Geschlechtsteil“, der exzentrische Star Helmut Berger: „Ich habe mir etwas aufgeschrieben, was sehr interessant ist: Jede Frau hat eine Vagina und eine Klitoris“, der Soziologe Rüdiger Lautmann: „Das Sexuelle läßt sich wunderbar ausbeuten, die Medien bestehen aus sexuellen Signalen“, der Boulevardjournalist Richard Mahkorn: „Wir Journalisten machen das Spiel mit“, der Moderator Erich Boehme: „Wir müssen vereinbaren, daß das heute abend keine Prozeßfolgen hat.“
Outing als Spektakel: Berger, völlig neben der Tasse; Praunheim befragt Laurien, ob sie Lesbierin sei; Boehme runzelt schlecht die Stirn: „Wo sind die Grenzen des Journalismus?“ Outing meint nichts mehr, ist synonym für irgendwas, einsetzbar überall: Sex und Heimlichkeiten, Privates und Öffentliches, Prominente und ihre Bettdecken, Bekenntnisse und Lügen.
Daß es soweit gekommen ist, haben wir Rosa von Praunheim zu verdanken. Jenseits der Fähigkeit zu denken, rasselt er Versatzstücke des schwulen Diskri-Cocktails runter, serviert schwules Leben als Jammertal, jongliert mit dem vermeintlichen Elend anderer.
Daß er nicht anders kann, weil er nichts mehr auf der Pfanne hat und PR braucht in eigener Sache, haben andere schon geschrieben. Sicher ist alles viel schlimmer. Daß es soweit gekommen ist, haben wir den Redaktionen zu verdanken, die derlei Talkrunden besetzen. Die auf nichts mehr setzen, als auf Einschaltquoten: Das ist ihr Job. Die mit dem Skandal spekulieren und der Schlagzeile am Morgen danach. Die — wie selten zuvor — so deutlich demonstrieren, wie wenig sie tatsächlich am Gespräch, an der Auseinandersetzung interessiert sind.
Diese Talk-Show war obszön, eine Bankrotterklärung für das Genre. Hier war nichts mehr wichtig, das Spiel der Medien kam auf den Punkt.
Manchmal wünscht man sich die Zeiten zurück, wo die Diskriminierung der Homosexuellen noch so einfach zu beschreiben wäre, wie Praunheim in schlichter Einfalt es vorführt. Elmar Kraushaar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen