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In Sarajevos Altstadt wird geschossen

■ Heckenschützen eröffnen erneut Feuer auf Friedensdemonstranten/ UN-Hauptquartier beschossen

Sarajevo (afp/ap/dpa/taz) — In der ex-jugoslawischen Republik Bosnien-Herzegowina begaben sich am Montag zehntausende von Moslems, Serben und Kroaten zum Parlament, um für eine Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzung zu demonstrieren. Einzelnen Gruppen drangen ins Gebäude ein und forderten vor dem versammelten Abgeordneten den Rücktritt der nationalistischen Politiker aller drei Parteien, da diese den Bürgerkrieg als Mittel ihrer Politik in Kauf nähmen. Am Montag nachmittag eröffneten Scharfschützen, die im dem Parlament gegenüberliegenden Hotel „Holiday Inn“ postiert waren, das Feuer auf die Demonstranten, unter denen viele Porträts von Tito und jugoslawische Fahnen schwenkten. Schließlich gelang es einer Spezialeinheit der bosnischen Polizei, die Heckenschützen zu überwältigen. Offenbar handelte es sich um Serben. Im „Holiday Inn“ des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic und seiner „Serbischen Demokratischen Partei“, die die Vereinigung serbisch besiedelter Gebiete mit der Republik Serbien anstrebt.

In der historischen Altstadt von Sarajevo tobten bei Redaktionsschluß weiterhin heftige Kämpfe zwischen Serben auf der einen und Moslems sowie Kroaten auf der andern Seite. Eine am Sonntag abend von den Parteien aller drei Volksgruppen beschlossene Waffenruhe wurde nur wenige Stunden beachtet. Nach einer von Radio Sarajevo am Montag bekanntgegeben Bilanz waren am Sonntag sieben Menschen getötet und mindestens 44 weitere verletzt worden. Wiederholt wurden die Bewohner zum Blutspenden aufgerufen, damit die Verletzten versorgt werden könnten. Zahlreiche Zufahrten zum Zentrum von Sarajevo waren am Montag weiterhin durch Barrikaden versperrt. Der öffentliche Nahverkehr war lahmgelegt. Nur wenige Menschen wagten sich auf die Straße.

Drei starke Detonationen wurden am Montag kurz vor sieben Uhr im Regierungsviertel vernommen. Der Großteil der Bewohner dieses Viertels verbrachte die Nacht in den Kellern. In jedem Wohngebäude wurden bewaffnete Wachen organisiert. In der Nähe der Polizeischule kam es am Montag zu neuen Auseinandersetzungen. Die serbischen Polizeikräfte in Sarajevo hatten sich am Samstag vom bosnischen Oberkommando losgesagt und am Sonntag die Polizeischule angegriffen, in der sich etwa 800 Schüler aufhielten. Zu Zusammenstößen kam es offenbar um das Militärkrankenhaus und in der Nähe des Fernsehsenders.

Auch das Hauptquartier der UN- Friedensmission für Jugoslawien (UNPROFOR) in Sarajevo wurde in der Nacht zum Montag unter Beschuß genommen. Das Personal im Hauptquartier die Nacht wegen des leichten Artilleriefeuers in Schutzräumen. Gegen den Sitz der UN- Friedensmission in der bosnischen Hauptstadt seien ebenfalls Drohungen Unbekannter ausgesprochen worden, die in einem Fahrzeug mit nicht identifizierter Flagge fuhren. Aus Sicherheitsgründen seien die letzten „Blauhelme“, die noch in einem Hotel in der Innenstadt untergebracht waren, nach den heftigen Schießereien vom Sonntag evakuiert worden.

Der Flughafen Butmir-Sarajevo wurde nach Angaben eines UNPROFOR-Sprechers in der Nacht zum Sonntag von der jugoslawischen Bundesarmee besetzt. Die Flughafengebäude, die am Sonntag in Brand gesetzt worden waren, waren am Montag morgen noch nicht vollständig gelöscht. Im olympischen Dorf Mojmilo im Süden Sarajevos wurde in der Nacht nach letzten Angaben mit Panzerkanonen geschossen. thos

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