: Kritische Betriebsräte sollen gehen
■ Während der Verkaufsverhandlungen des Ostberliner Werks für Fernsehelektronik 18 Entlassungen angekündigt/ Zwölf davon betreffen Betriebsräte/ Arbeitsrechtlicher Bestand unklar
Oberschöneweide. Inmitten komplizierter Verhandlungen über die Privatisierung des Ostberliner Werks für Fernsehelektronik (WF) und einer damit verbundenen Entlassungswelle von rund 800 Beschäftigten hat die Geschäftsleitung aus »betriebsbedingten Gründen« ihren Abschied von 18 weiteren Mitarbeitern, zwölf davon Betriebsräte, angekündigt. Unter ihnen befinden sich etliche, die auf Grund langer Erfahrungen im Umgang mit der Geschäftsleitung die Mehrheitslinie des Betriebsrates immer wieder kritisiert haben.
Anfang April las der Betriebsratsvorsitzende des WF den völlig verdutzten Mitgliedern der Interessenvertretung ein Schreiben der Personalleitung vor. Darin rechtfertigte die Geschäftsführung des WF eine Entlassung der (generell von Kündigung ausgenommenen) zwölf Interessenvertreter damit, daß die Abteilungen, in denen sie gearbeitet haben, bereits aufgelöst wären (was nur teilweise stimmt). Außerdem habe der Betriebsrat durch die Einleitung der Prozedur von Neuwahlen im Februar diesen Jahres einen nicht mehr vollständig gegebenen Vertretungsanspruch. Darüber hinaus sei die Suche nach anderen Arbeitsplätzen für die betroffenen Kollegen ergebnislos verlaufen.
Die Ankündigung der Entlassung eines Drittels seiner Mitglieder trifft den Betriebsrat mitten in der Auseinandersetzung um eine mögliche Privatisierung des Werks. Nach einem offiziell nicht bestätigten Bericht der 'Wirtschaftswoche‘ gibt es vier Bewerber für das Werk, von denen der türkische Mischkonzern Koc die größten Chancen haben soll. Allerdings werden die Verkaufsverhandlungen skeptisch beurteilt, da die Käufer etwa 130 Millionen Mark für die notwendigen Modernisierungen und die Verluste des WF im Jahr 1992 (wahrscheinlich 50 Millionen Mark) aufzubringen hätten. Die im WF hergestellte Farbbildröhre verkauft sich nämlich derzeit nicht.
Mit Hinweis auf die, in offiziellen Dokumenten nie genannten, WF-Interessenten und die ökonomische Lage des Werkes, hatten Geschäftsführung und Treuhand die gegenwärtige Entlassungswelle im Werk (siehe auch taz vom 13.3. und 28.3.) begründet. Die Bewerber, so war argumentiert worden, würden das WF nur mit maximal 900 der bislang 1.700 Beschäftigten übernehmen.
Zwischen den Beschäftigten des Betriebes hat diese Kündigungswelle schwere Konflikte ausgelöst. Im Betriebsrat stritt man um die Frage, ob man generell erst nach Kenntnis der Bewerber und ihrer Konzepte oder auch ohne diese Informationen den Entlassungen zustimmen solle. Der Betriebsrat war von einer Versammlung gar aufgefordert worden, Kampfmaßnahmen zu überdenken. Schließlich war man sich unsicher, ob nicht demnächst erneut Entlassungen vorgeschlagen würden.
Inzwischen jedoch hat der Betriebsrat einem von Treuhand und Geschäftsführung angebotenen Interessenausgleich zugestimmt, der jedem Entlassenen auf Wunsch die Finanzierung einer Weiterbildung mit annähernd 95 Prozent seiner gegenwärtigen Bezüge sichert. Auch die kritische Minderheit im Gremium schluckte angesichts dieses Angebotes ihre Bedenken herunter.
Die Geschäftsführung des WF setzte nun ausgerechnet Vertreter dieser kritischen Minderheit im Betriebsrat auf die neue Kündigungsliste. Ob diese arbeitsrechtlichen Bestand haben wird, ist allerdings nicht sicher. Im WF existiert nämlich neben dem generell gültigen Kündigungsschutz für Interessenvertreter seit Frühjahr 1991 eine Betriebsvereinbarung, in der den im November 1990 gewählten Betriebsratsmitgliedern ausdrücklich Kündigungsschutz bis Ende 1993 zugesichert wurde.
Von der zuständigen Gewerkschaft war keine Stellungnahme zu erhalten. In der Pressestelle der IG- Metall wußte man von nichts. Der Chef der Berliner IG-Metall, Manfred Foede, ist Mitglied im Aufsichtsrat des WF. Martin Jander
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