: Teufel und Beelzebub
■ Eine starke Präsidialdemokratie ist als Instrument des Übergangs unerläßlich
Teufel und Beelzebub Eine starke Präsidialdemokratie ist als Instrument des Übergangs unerläßlich
Sonnabend war eigentlich der traditionelle leninsche Subotnik. Zu Ehren des Revolutionärs säuberten Millionen Moskauer in den letzten Jahrzehnten Vor- und Hintergärten — bjesplatno — unbezahlt. Diesmal fiel er flach, obwohl es einiges aufzuräumen gäbe, doch dafür trafen sich zigtausende Hauptstädter tagsdrauf auf dem Manegeplatz, um Jelzin und seine Regierung gegen die konturlosen Drohungen schwadronierender Abgeordneter zu verteidigen. Der Kongreß der russischen Legislative geht in die dritte Woche. Eigentlich hört ihm keiner richtig zu. Daher war es um so erstaunlicher, daß so viele ihrem Instinkt folgten und den Abgeordneten demonstrierten: Ihre politische Legitimation erhielten sie während einer Übergangszeit aus dem Totalitarismus ins noch Ungewisse.
Vorurteile gegenüber Parlamenten und „Quasselbuden“ gehören zum Standardrepertoire unzufriedener Nörgler. Wenn sich die Russen heute darüber empören, daß jeder weitere Kongreßtag mehr als eine Million Rubel kostet, dann kann man ihnen allerdings ohne Wenn und Aber zustimmen. Denn der Kongreß hat sich selbst entblößt und gezeigt, was er ist: eine Ständeversammlung vorbürgerlichen Charakters. Hier werden verbissen Interessen verteidigt, die der Vergangenheit angehören. Die Moskauer gingen auf die Straße, obwohl die Regierung ihnen nichts als harte Zeiten versprach, die Abgeordneten dagegen verlangten wieder das Blaue vom Himmel. Im Kampf zwischen Exekutive und Legislative in Rußland geht es nicht um die Frage demokratisch legitimierter und kontrollierbarer Macht. Das wird erst eine Diskussion der Zukunft sein. Es geht auch nicht um die berechtigten Bedenken gegenüber der Selbstherrlichkeit des neuen Zaren Jelzin. Sein Hang zu autoritärem Gebaren und seine Neigung, sich auf Alleingänge zu versteigen, sind wohlbekannt. Das Parlament ist aber die letzte Instanz, die dem Einhalt gebieten könnte. Als es um seine Existenz fürchten mußte, schwenkte es sogar auf die Drohungen des Allherrschers ein, der sich nicht einmal auf der Bühne zeigte. Jelzin ist kein Diktator, nur ein Autokrator. Will er tatsächlich den eingeschlagenen Reformweg irreversibel machen, stehen ihm kaum andere Möglichkeiten zur Wahl, als diese Legislative in ihre Schranken zu verweisen. Das bedeutet, die in den Provinzen mächtigen Fürsten aus Industrie und Landwirtschaft mit einer Gegenmacht zu konfrontieren. Seine eigenen Bevollmächtigten sollen vor Ort die Durchführung des Programms überwachen. Eine in Rußland ohnehin schon schwierige Aufgabe. Gegenmacht, um den Präsidenten nicht davongaloppieren zu lassen, müßte schon in seinem Beraterstab installiert sein. Und das wird wohl geschehen. In der Übergangsperiode „idealtypisches Demokratieverständnis“ einzuklagen, trifft die Lage nicht und wird der Situation Rußlands nicht gerecht. Schließlich vollzieht sich ein innergesellschaftlicher Machtkampf, der sich nicht an geschäftsordnungen hält. Klaus-Helge Donath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen