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IM LAND DER WETTEN UND SAMMELBÜCHSEN Von Ralf Sotscheck

Pettigo liegt am Arsch der Welt — genauer gesagt, auf der Grenze zwischen Nord- und Südirland. Der 500-Seelen-Ort ist von der Umwelt praktisch abgeschnitten: Im Westen führt eine einzige Straße durch die Berge nach Donegal Town, der Hauptstadt der nordwestirischen Grafschaft. Und von den elf Straßen, die früher nach Osten in die nordirische Grafschaft Fermanagh führten, sind zehn durch Betonklötze gesperrt. Die britische Armee will dadurch die Bewegungsfreiheit der IRA einschränken. So bombensicher, wie die Grenze auf den ersten Blick erscheint, ist sie freilich nicht. Bauern, die auf beiden Seiten Felder besitzen, haben längst Schleichwege durch seichte Flußstellen entdeckt. Sie schlagen damit nicht nur den britischen Schreibtischstrategen ein Schnippchen, sondern ersparen sich auch Umwege von oft dreißig Kilometern. Der Fluß Termon teilt den Ort in zwei Hälften, die sich nur wenig unterscheiden: Im Norden sind die Briefkästen rot, im Süden grün. Im Norden zahlt man mit Pfund Sterling, im Süden mit irischen Punt. Die absurde Grenze hat Pettigo zwar wirtschaftlich an den Rand des Ruins getrieben, doch die Bewohner haben immerhin einen gewissen Galgenhumor entwickelt: Am Ostersonntag funktionierten sie den Grenzfluß in eine Regattastrecke um und veranstalteten ein Entenrennen — für einen guten Zweck, versteht sich. Irland ist das Land der Sammelbüchsen: Wohlfahrtsorganisationen und Schulen, Krankenhäuser und Waisenhäuser, Parteien und Blindenhilfswerke — alle sind auf Spenden angewiesen. Ein findiger Kopf in Pettigo kam deshalb auf die Idee, die Wettleidenschaft seiner Landsleute auszunutzen, um ihre traditionelle Großzügigkeit noch zu steigern. So rief er vor drei Jahren das österliche Entenrennen zugunsten der Jugendfußballer ins Leben. Mit einer halben Stunde Verspätung wurden am Sonntag 600 gelbe Plastikenten und eine rote Artgenossin von einer der gesperrten Brücken in den nur sechs Meter breiten Fluß geworfen. Jede trug eine Nummer auf dem Bauch. Eine Wette auf die schnellste Ente kostete ein Pfund. Ich setzte gleich auf vier Tiere. Für viele war das Rennen jedoch schon am Start beendet: Sie verhedderten sich im nordirischen Dickicht. Aber auch auf der Südseite lauerten Gefahren. Ein riesiger Stein im Wasser erwies sich für ein halbes Dutzend Rennenten als Endstation. Das übrige Plastikgeflügel trieb flußabwärts, verfolgt von einer Horde Kinder, die am Ufer entlangrannten, während die Erwachsenen das bizarre Schauspiel von der Zollbrücke am Ziel beobachteten. Dort war ein Netz aufgespannt, das die Enten abfangen sollte. Dieser Plan mißlang jedoch kläglich. Als das Entengeschwader im Ziel ankam, konnte Sean, einer der Organisatoren, der in Anglerstiefeln im Wasser stand, lediglich die drei Bestplazierten — die rote Ente gewann die Silbermedaille — herausfischen, während die übrigen das Netz durchbrachen und um die Flußbiegung gen Nordirland verschwanden. Ein Dutzend Männer hetzte hinterher, um sie wieder einzufangen. „Das sind Mietenten“, erklärte Sean. „Wir haben sie im nordirischen Ederney geliehen. Die fehlenden Enten müssen wir bezahlen.“ Die Entenjagd ging bis zum Anbruch der Dunkelheit weiter. Die meisten Dorfbewohner saßen währenddessen freilich längst im Pub und feierten die Hauptgewinnerin, eine Hausfrau aus dem Nordteil Pettigos. Meine Enten haben es nicht geschafft. Vermutlich sind sie unterwegs ertrunken.

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