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Verriß

■ Fehlender Respekt, der mit Kritikerschärfe verwechselt wird

Es geht auch um die Kultur. Der Abstieg ist atemberaubend. Viele sagen nichts mehr zu der Bremer Kulturseite, weil nur noch die Überschriften wahrgenommen werden. Lohnt der Rest? Der Text? Beispiel vom 21.4.92, Besprechung der Premiere von Shaekespears „Sommernachtstraum“. Die Rezensentin erzählt uns von ihren Erwartungen. „Nix da...Hach, Tja...Ja,Ja,Ja. Sie spreizt sich, sucht den Wortwitz und eine populistisch herunternivellierte Sprache, die sich jenen Meckerern anbiedert, denen alles nicht paßt, was anders ist, als ihnen ein narzißtischer Spiegel verhießen hat. Wer von künstlerischer Arbeit wenig weiß, besitzt nicht einmal Skrupel, die vor ordinären Verissen schützen könnten. Der kumpelhafte Ton der Anrede von „Mensch Shakespeare Company!“ paßt zu jenen, die künstlerische Arbeit nicht beurteilen können, weil ihnen die Distanz und auch die Nähe fehlt. Auffällig dagegen ist die Nähe erheischende, vergewaltigende Art, ein fehlender Respekt, der mit Kritikerschärfe verwechselt wird. Man kann einiges ohne Verständnis behandeln, verreißen, es zum Anlaß dafür machen, den Lesern Früchte des eigenen Geschmacks anzubieten. Vieles ist möglich. So wie auch vieles möglich ist im Verkehr zwischen den Menschen: Vergewaltigung, Mißachtung des Subjekts als Objekt eigener Interessen, Fremdheit, weil das Verstehen fehlt. Aber das ist Barbarei. Kultur ist eine lustvolle und produktive Auseinandersetzung, ein Teilnehmen, Anerkennen, Ergänzen, kurz: die Verfeinerung in der Begegnung. Sie leugnet nicht originäre Lust, sondern wandelt sie um. Sie unterscheidet sich von der Barbarei wie die Erotik von der Vergewaltigung. Auf der Kulturseite der taz wird nicht Kultur befördert, beurteilt, begleitet — sondern ein verquaster Volkswille vertreten. Über die Idee der Inszenierung, ihre Stärken und Schwächen, die Arbeit der Schauspieler — erfährt man nichts. Nur daß „der Rezensent in Wille und Güte“ taumele und ihr ein mattgelber Strampelanzug des Puck gefallen habe. Claudia Kohlhase beruft sich auf ein imaginäres „Wir“, sogar auf „wir und Shakespeare“, die wenigsten Imagination wollen. Und zum Schluß: “Wir wollen“, daß Shakespeare beim Wort genommen wird, „und seine Sau auch rausläßt“. Die Formulierung illustriert, worum es nicht mehr geht, wovon es in der taz-Redaktion offenbar auch keinen Begriff mehr gibt: Kultur. „Beim Wort nehmen“? Also den Geist aufgeben. „Sau rauslassen“? Das allerdings ist tatsächlich die Lust derer, die keinen Sinn für Poesie haben und Wahrheit als Striptease auffassen. Es geht auch um Kultur auf der taz-Kulturseite, sollte man meinen. Also: um Aufmerksamkeit, Genauigkeit, Verstehen, Anteilnahme, Kritik. Den üblichen Journalistenbrei aus Anmaßung, professioneller Unaufmerksamkeit und Verurteilungslust kennen wir aus jeder rechtslastigen Postille. Wir kennen ihn seit einiger Zeit auch aus der taz.

Peter Burmeister

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