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Vorwärts und nichts vergessen

■ Matthias Deutschmann gastiert mit seinem neuen Programm »Das kleine Fegefeuer« im Mehringhof

Seit mehr als zwei Jahren ist die Mauer zwischen Ost und West — zwischen Gut und Böse — nun also gefallen. Nach dem ersten Schock vieler Kabarettisten, daß kaum eine der wohldurchdachten Satirenummern mit dem rasanten Tempo der Vereinigung Schritt halten konnte, haben jetzt auch die letzten Kleinkünstler, Kabarettisten und Satiretruppen ihre ersten post-vereinigten Programme auf die Bühne gebracht. Und nach der ersten Runde großdeutschen Kabaretts stellt sich heraus, daß in diesen schweren Zeiten, in der uns die Obrigkeit so hartnäckig den nach vorn gerichteten Blick emfiehlt, auch auf den Kabarettbühnen vor allem kritische Rückbesinnung auf vergangene Epochen angesagt ist.

»Konejung & Schroth« versprachen — ebenfalls auf der Bühne des Mehringhoftheaters — einen »Abend ganz unter uns Wessis«, die Berliner Truppe »Zwei Drittel« philosophierte in ihrem Programm »Nie wieder Freak« über die neue »phosphatfreie Polit-Ergriffenheit« der ehemals linken Szene, und das jüngst gegründete Duo »Pachl & Rating« (mit dem Ex-Torndado Arnulf Rating) sangen auf ihrem Abnorma-92- Messestand im BKA den zynischen »West-Spenden-Blues«. Im anderen Teil der Stadt, den die satirischen Seidenhemdträger allesamt mit gutem Grund nicht betreten, wettert dafür die »Distel« unangefochten weiter über den kapitalistischen Klassenfeind. Das Abschiednehmen von liebgewordenen Feindbildern, die Überprüfung der eigenen Identität ist eben doch viel schwerer als gedacht — oder, wie einst es schon Clausewitz formulierte: »Nichts ist so schwer wie der geordnete Rückzug aus unheilvoller Lage.«

Viele der erfolgreichen Neuproduktionen des letzten Jahres besannen sich auffällig und ausschließlich auf ihre alte BRD-Klientel. In bester kollegialer Gesellschaft präsentiert Matthias Deutschmann mit seinem neuen Programm Das kleine Fegefeuer im Mehringhof-Theater ein ausschließlich west-verständliches Programm: Wenn deutsche Politiker »Marx ist tot, Jesus lebt« rufen dürfen, ohne daß ihnen jemand ernstlich widersprechen kann, wenn Lenin für viel Kapital vom Sockel gestürzt wird und selbst der real existierende Sozialismus nicht mehr existiert, dann wird es unumstößlich Zeit für eine gedankliche Wende auch in der Linken. Dann muß ausgemustert, abgestaubt, aufgeräumt werden. Weg mit der Mao-Bibel, den ordentlich abgehefteten RAF-Bekennerbriefen (»in Kopie natürlich, die Originale liegen ja immer noch in den taz-Archiven«), all den alten Insignien fortschrittlichen Denkens.

Mit deutscher Gründlichkeit räumt Matthias Deutschmann auf in seiner (und unserer) Vergangenheit (West), kramt immer mehr neues Altes aus seinen großen Umzugskisten, wirft den »Tod des Märchenprinzen«, Wallraffs »Ganz unten« und einen ganzen Sponti-Ordner in die »rote Abfalltonne« für den Sondermüll linker Gesinnung. So vieles, an das die Deutsche Linke einmal geglaubt hat, »paßt nicht mehr in die Zeit«, resümiert der Freiburger rittlinks auf der Umwelttonne mit einem wehmütigen Kopfschütteln und rät uns, beim gesinnungstechnischen Großreinemachen Nachsicht mit sich selbst zu üben.

Matthias Deutschmanns neues Programm ist dann aber gerade keine nachsichtige Bilanz der letzten 20 west-revolutionären Jahre, eher eine intellektuelle Vorhölle für unverbesserliche Autonome. Denn Deutschmann, dem sein Name von jeher »Auftrag und Verhängnis« war, weiß wovon er spricht, wenn er mit dem linken Antisemitismus, mit der Antifa und den Anti-Imps abrechnet: Drei Bände Kapital stabilisierten einst auch sein Regal. Deshalb wirft er den Karl Marx am Ende auch nicht in die Tonne, sondern streicht melancholisch über die bärtige Porzellanbüste von VEB Meißen. Ja, das Verhältnis der Linken zu DDR war von jeher unverkrampft: »Wir haben die Bücher gekauft, die Regierung die Gefangenen.« Ansonsten war es diesseits des antifaschistischen Schutzwalles eine Frage der revolutionären Ehre, die DDR zu verteidigen, wo immer sie angegriffen wurde. Es war schließlich Krieg, kalter Krieg, eiskalter Krieg. »Und jetzt ist es für die Jahreszeit zu warm, wo wir doch erst bei minus zwanzig Grad vernünftig denken können...«

Deutschmann trifft offensichtlich die satirische Bedürfnislage eines zahlungskräftigen Kabarettpublikums (West). Denn — Hand aufs Herz! — müßten wir nicht auch schon längst unsere »Schneller- Wohnen«-Umzugskisten mit dem passenden Aufdruck »Vorwärts und nichts vergessen« gepackt haben? Wer ein einigermaßen gutes und selbstkritisches Gedächtnis hat, sollte sich dieser Tage im Mehringhof den politischen Gesinnungs- Spiegel vorhalten lassen. Denn dort wird aufs unterhaltsamste intellektuelle Trauerarbeit geleistet. Und schließlich fällt olle Marx am Ende ja dann doch nicht in die Tonne. Klaudia Brunst

Matthias Deutschmann: »Das kleine Fegefeuer«: noch bis zum 10.5. Mi-So um 21 Uhr im Mehringhof-Theater, Gneisenaustraße 2a

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