: Löhne sind die Basis des Teilens
Die aktuellen Kommentare in der taz zur gewerkschaftlichen Tarifpolitik sind theoretisch nicht innovativ, sondern langweilig, weil dogmatisch. Das Dogma heißt „unten teilen“. Diese Philosophie hat eine alte Tradition in der katholischen Soziallehre und wird nicht neu, nur weil Lafontaine, Biedenkopf, die Grünen oder taz-Journalisten sie wieder aufgreifen.
Die Verteilungs- und Umverteilungsverhältnisse sind in der bundesdeutschen Gesellschaft jedoch so, daß die abhängig Beschäftigten immer teilen und geteilt haben. Über direkte Steuern und Sozialversicherungsbeiträge werden weit über 40 Prozent der Bruttolohn- und Gehaltssumme für gemeinschaftliche Aufgaben abgeschöpft. Die Sozialtransfers in die neuen Bundesländer bestehen fast ausschließlich auch aus Abzügen von den Arbeitseinkommen im Westen. Wenn jetzt durch die in der Philosophie des Teilens angelegte Politik des Lohnverzichts die Löhne nominal nur gering steigen (und real kräftig sinken), führt das zur Schmälerung der Finanzbasis für alle abgeleiteten Sozialeinkommen. Die aktuelle Rentenerhöhung von nur 2,71Prozent zum 1.7. 1992 hätte diesen Verteilungseffekt eigentlich auch für Journalisten verdeutlichen können.
Die Arbeitseinkommen sind die zentrale Finanzbasis für alle abgeleiteten Sozialeinkommen. Eine kräftige Lohnerhöhung ist der einzige Weg, die Arbeitgeber über eine Anhebung der Bruttoarbeitskosten an der Finanzierung sozialer Aufgaben zu beteiligen. Der Anteil der Bruttoarbeitskosten an der gesamten Wertschöpfung ist seit Jahren rückläufig. Ebenso sinkt die Steuerquote der Unternehmen. Der Arbeitskampf der Gewerkschaft zielt faktisch auf Reallohnsicherung. Angesichts einer zu erwartenden Inflationsrate von jahresdurchschnittlich mindestens fünf Prozent bedeutet das eine Nominallohnerhöhung von über sechs Prozent, da zirka ein Prozent der Bruttolohnerhöhung durch die Lohnsteuerprogression aufgezehrt wird. Es hat in den achtziger Jahren — und zuletzt auch 1991 — so viele Tarifrunden mit Reallohnverlusten gegeben — der Fall der bereinigten Lohnquote auf den Stand von 1960 belegt diese Entwicklung —, daß eine Steigerung des Reallohnverzichts wegen zusätzlichen Teilens nicht nur unsozial, sondern bloß dumm ist. Außerdem wäre den von Sozialeinkommen abhängigen Menschen mit niedrigen Löhnen überhaupt nicht geholfen — eher im Gegenteil.
Im übrigen können die gravierenden politischen Fehlleistungen im Zuge der überstürzten Herstellung der Wirtschafts- und Währungsunion auch nicht durch Lohnverzicht kuriert werden. Kreislauftheoretisch würde das zu gesamtwirtschaftlich kontraproduktiven Nachfrageausfällen führen und die Rezession verstärken. Aber diese realen ökonomischen Prozesse werden sowohl von den rechts- wie linksliberalen Fundamentalisten ignoriert. Michael Wendl,
Stellvertretender Vorsitzender
des ÖTV-Bezirks Bayern
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