■ Lokaltermin: Kränzchen im Kranzler
Kränzchen im Kranzler
Schon immer habe ich mich gefragt, warum gerade das Café Kranzler zu den berühmtesten Berliner Kaffeehäusern zählt: Auf Hunderten von Postkarten wurde das Ku'damm- Café verewigt, nach Umfragen ist es selbst Buxtehudern Bauern und Nürtinger Nonnen ein Begriff, und in garstigen Comics dürfen Punks dort Tortenschlacht spielen.
Doch unbestritten liegt das Café Kranzler an einem der furchtbarsten Plätze der Stadt. Durch die große Fensterfront blickt man auf ein häßliches Allianz-Hochhaus, dahinter thront der Betonklotz von C&A, und an der nächsten Ecke gelingt es der Avnet-Leinwand, noch kürzere Nachrichten als die 'Bild‘-Zeitung zu produzieren. Wer nicht die vielen Mantas und Jaguars zählen will, die verkehrswidrig über die Busspur brausen, kann sich lediglich an der dritten Kreuzungsecke beim Blick auf die Togal-Werbung ein wenig erholen.
Angesichts dieses tristen Ambientes ist man natürlich froh, am Kranzler-Eck überhaupt ein Café zu finden. Doch leider erinnert die Inneneinrichtung weniger an ein Wiener Kaffeehaus mit Kronleuchter, Samttapete und Polsterstühlen als an eine Bilka-Caféteria aus den siebziger Jahren. Den Boden ziert ein abgetretener, rotbraun-gemuschelter Teppich, die Decke ein Gestänge aus Messingimitat. Scheinbar willkürlich durchteilen weiße Rohrsäulen den mit Farn dekorierten Raum. Aus dem Lautsprecher trompeten rund um die Uhr Instrumentalversionen der Schlager von Roy Black bis Heintje.
Neben Wilmersdorfer Witwen, Homopärchen, die fürs SchwuZ zu alt sind, Theater- und Kinobesuchern zählen vor allem Touristen zu den Gästen. Da sie im Kranzler nichts weiter zu tun haben, als Postkarten an die liebe Verwandt- und Bekanntschaft zu schreiben, scheint sie das grausliche Interieur nicht weiter zu stören. Nach Auskunft eines Kellners wird hin und wieder nur moniert, daß die marmorähnlichen Tische für das Täßchen Kaffee, den Teller mit der Erdbeertorte, den Stadtplan und die erwähnten Postkarten samt Briefmarken und Kugelschreiber zu klein sind. Die umsatzgierigen Kranzler-Manager haben die Tische zudem so dicht beieinander gestellt, daß neugierige Rundfunkjournalisten die Gespräche der Nachbarn ohne Richtmikrofon sendereif mitschneiden könnten. Ständig bleiben auch die korpulenten Serviererinnen zwischen den Tischen stecken und wischen dabei mit ihren rosa Schürzen die Aschenbecher aus. Obwohl Kaffee, Tee und heiße Schokolade zwischen 13 und 19 Uhr von vornherein nur im Kännchen serviert wird, scheint den Damen jede Bestellung eine Zumutung zu sein.
Während das Erdgeschoß als Café dient, wartet im ersten Stock ein Restaurant, manchmal hat auch die Rotunde in der zweiten Etage geöffnet. Jeden Morgen ab 8 Uhr wird ein Frühstücksbüffet angeboten, bei dem man sich — am besten nach durchzechter Nacht oder einer Fastenwoche — von oben bis unten mit erlesenen Speisen vollstopfen kann. Zudem hat man Gelegenheit, für seine WG noch heimlich ein paar Brötchen, Nutella und Schinken einzustecken.
Sicher mag es Nörgler geben, die das Café Kranzler dennoch überteuert finden — nicht überall kostet das kleine Bier schließlich 4,40 und das Eisbein 20 Mark. Doch Berlin ist eine soziale Stadt, und so hat das Ku'damm-Café selbstverständlich auch Angebote für Minderbemittelte auf der Karte. Etwa die Portion Butter für 1,50 Mark.
Café Kranzler, Ku'damm/Ecke Joachimstaler Straße täglich von 8 bis 24 Uhr
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