: Streiks die Barrieren der mobilen Gesellschaft
■ Fahrplanmäßig ging am Montag auf den bestreikten Flughäfen von Berlin und im Westen der Republik nichts mehr: Tausende von Passagieren wurden mit dem Bus quer durch die Hauptstadt zum ...
Streiks — die Barrieren der mobilen Gesellschaft Fahrplanmäßig ging am Montag auf den bestreikten Flughäfen von Berlin und im Westen der Republik nichts mehr: Tausende von Passagieren wurden mit dem Bus quer durch die Hauptstadt zum brandenburgischen Schönefeld transferiert, von wo es mit vielen Stunden Verspätung doch noch in die Luft ging. Heute soll Frankfurt-Airport bestreikt werden.
Das ist der Wahnsinn“, stöhnt der Busfahrer am Flughafen Berlin-Tegel, lacht und schüttelt dann den Kopf: „Das ist absolut irre!“ Um kurz nach sechs ist der Fahrer eines privaten Busunternehmens im (Ostberliner) Stadtteil Hohenschönhausen gestartet, um italienische Touristen nach Tegel zu bringen. Trotz des Streiks der Flughafenfeuerwehr und des Sicherheitspersonals sollen sie am dortigen Otto-Lilienthal-Flughafen eingecheckt werden, um dann mit einem anderen Bus nach Schönefeld in Brandenburg gebracht zu werden. Es sei ein „unglaublich blödes Gefühl“, berichtet der Fahrer, „Menschen zum einen Flughafen zu bringen, während vom anderen gestartet wird“.
In der Halle warten nervös die Passagiere, deren Bus noch kommen soll. Zwei Geschäftsleute mit Reiseziel Amsterdam sind bereits eingecheckt, um zehn nach sieben sollte Abflug sein. Nun bangen sie darum, daß der 9-Uhr-Bus rechtzeitig zum Start der Ausweichmaschine um 11.45Uhr in Schönefeld ist. „Da sind wir heute morgen losgefahren“, ärgern sich die Neuköllner, „wir wohnen ganz in der Nähe des Flughafens, aber wir mußten erst hierher kommen.“ Vom Streik gewußt hätten eigentlich alle, bestätigen die Mitarbeiterinnen an den Schaltern der Fluggesellschaften: „Die unmöglichsten Anrufe haben wir bekommen, die Leute wollten uns überreden, als könnten wir den Streik von hier aus beenden.“ Der Ton der Anrufer sei häufig mehr als barsch gewesen, klagen die Mitarbeiterinnen; die Darstellung der Passagiere ist genau andersherum: „Heute fliegt doch nichts, die haben doch gar nichts zu tun“, wundert sich ein junger Mann über gereizte Auskünfte. Er hat seine Eltern vergeblich zum Flug nach Washington gebracht. Der Ersatzflug ab Frankfurt am Main ist für die beiden nicht mehr zu bekommen.
Ältere Leute hätten ohnehin am meisten leiden müssen, bemängelt die Mitarbeiterin eines Reiseveranstalters. „Die Gepäckwagen sind weggeschlossen worden“, Alte hätten ihre Koffer selbst schleppen müssen. „Etwas mehr Mitdenken hätte dem Streik doch nicht wehgetan“, kritisiert sie. „Erst mal sehen, was Sache ist“, will die Vierergruppe Geschäftsreisender, die nicht recht weiß, wie sie nach Köln kommen soll. „Wir haben heute morgen mal hier angerufen, aber war ja alles besetzt.“ Nun solle die Geschäftsleitung entscheiden, ob der Weg über Frankfurt führt oder mit einem Leihwagen bewältigt wird.
Bei den Taxifahrern war Flaute, obwohl viele ein gutes Geschäft erwartet hatten; trotz der Tatsache, daß viele Flüge zum ehemaligen Ostberliner Zentralflughafen Schönefeld umgeleitet wurden, gab es kaum Fahrten Tegel-Schönefeld, da den Taxis keine schnellere Zeit als den Bussen zugetraut wurde. Schönefeld war gestern Berlins einzige Ausweichmöglichkeit. Und wer jemals angesichts verspäteter Flüge zeternde Business-Class-Passagiere vor den Ticketschaltern erlebt hat (Tenor: Mir platzt gerade ein Millionengeschäft!), der geriet gestern auf dem dortigen Flughafen in großes Staunen. Mit stoischer Ruhe verharrten Tausende von umgeleiteten Touristen und Geschäftsleuten stundenlang vor ganzen drei Lufthansa- Schaltern. Wer nicht rechtzeitig aus Berlin wegkam, drehte kurzerhand wieder um. „Wenn ich überhaupt heute in München ankomme, bekomme ich dort ja kein Taxi“, lacht Hermann M., Geschäftsreisender in Sachen Computer. „Bis dahin sind meine Partner längst über alle Berge.“ Er blieb in Berlin. Andere düsten mit dem Auto nach Kopenhagen oder versuchten ihr Glück mit der Bahn — im Osten bei der Reichsbahn klappt's ja noch, bei der Bundesbahn fielen am Montag schon vereinzelt IC-Züge ganz aus oder hatten Verspätung; ab heute werden die Störungen im Westen ein bislang unerreichtes Ausmaß annehmen.
Anstelle der üblichen 57 Flüge ab Berlin-Schönefeld lagen bereits gestern früh um 8Uhr über 100 Anmeldungen für den Tag vor. 16 zusätzliche Fluglinien nutzten die einzige Ausweichmöglichkeit. Während die Lufthansa etwa die Hälfte ihrer Flüge nach Schönefeld umleiten konnte, schleuste Massenanbieter TUI am Vormittag sämtliche Charterpassagiere durch das Nadelöhr im Süden Berlins nach Gran Canaria oder Fuerteventura. Viele Chartergesellschaften fertigten an ihren Schaltern in Tegel ab und karrten die Passagiere dann mit Bussen einmal quer durch Berlin. Gegen Mittag wurde auch in Schönefeld die Lage prekär. Die Flugzeug-Stellplätze auf dem Rollfeld waren besetzt. „Wenn es so weitergeht, müssen wir hier für eine Stunde dichtmachen, weil wir keinen Platz mehr haben“, fürchtete der Sprecher des Flughafens, Elie. Dichtes Gedränge auch in der vergleichsweise winzigen Abfertigungshalle. Kontrolliert wurde nur noch sporadisch. Männer tasteten Frauen ab und umgekehrt. Fast schien es, als hätten Mitarbeiter wie Passagiere ihren Spaß an der streikbedingten Anarchie im sonst so durchorganisierten Flugbetrieb. Sogar die Anzeigentafel spielte verrückt. Für 10.25 Uhr war ein Flug mit dem Zielort „Deutschland“ ausgezeichnet. Die rechte Spalte der Tafel gab ein eintöniges Bild ab. Delayed, Delayed, Delayed... — zwölf von fünfzehn Flügen verspätet. Die Lufthansa-Boeing nach München, planmäßiger Start um 7.35 Uhr, stand um 11.30 Uhr immer noch auf dem Rollfeld. Dem Journalisten Axel K. verhalf das immerhin noch zu einer Bordkarte. Um halb sieben Uhr im Ostteil aus dem Bett gekrochen, hatte er sich per pedes und Taxi in eineinhalb Stunden nach Tegel durchgeschlagen — um von dort für schlappe 75 Mark Taxikosten Berlin noch einmal komplett zu durchqueren und sich in Schönefeld einzureihen. „Was weiß ich denn, was das heißt, wenn ich im Radio höre, die Flughäfen seien betroffen. Vielleicht werden da ja nur die Mülleimer nicht geleert.“ Ob mit Taxi oder Shuttle- Bus — ein bis zwei Stunden waren alle von Tegel nach Schönefeld unterwegs. Kein Durchkommen mehr, denn auch der öffentliche Nahverkehr der Hauptstadt wurde bestreikt; aus Solidarität legten auch die Fahrer mehrerer S-Bahn- und Buslinien im Ostteil der Stadt die Arbeit zeitweilig nieder.
Starke Beeinträchtigungen gab es auch auf anderen deutschen Flughäfen. In Köln-Wahn lief schon seit 6.30 Uhr nichts mehr: Lediglich ankommende Maschinen wurden noch entladen, mußten dann jedoch leer weiterfliegen. Rund 70 Prozent der Flüge mußten ausfallen. Auch auf Deutschlands größtem Charterflughafen Düsseldorf fielen einige Flüge ganz aus, bei anderen entstanden Verspätungen. Einige Flüge seien nach Amsterdam, Brüssel, Maastricht oder zum Flughafen Essen/ Mülheim umgeleitet worden. Der Streik von rund 200 MitarbeiterInnen von Feuerwehr und Bodenpersonal legte den Flughafen Hannover- Langenhagen vollständig lahm. Nach Angaben einer Flughafensprecherin wurden 70 Flüge storniert. British Airways ließ seinen Flug von London über Hannover nach Leipzig nach eigenen Angaben nonstop bis Leipzig fliegen und brachte Hannover-Passagiere von dort mit Bussen an ihr Ziel.
In Hamburg-Fuhlsbüttel folgten auch die Beschäftigten bei den Hamburger Personenkontrollen dem Streikaufruf der Gewerkschaft der Polizei. Die Kontrollstellen wurden geschlossen. Auf dem Flughafen München-Riem wurde die Gepäck- und Flugzeugabfertigung bestreikt. Auch die Feuerwehr streikte, wobei die Mindestbesetzung aber gewährleistet blieb. Auch auf dem Flughafen Nürnberg befanden sich rund 60 Prozent des Personals der Flugzeugabfertigung im Streik. Ein Flughafensprecher teilte mit, daß der Flugverkehr dennoch ganz normal weiterlaufe. Ab heute sollte der größte deutsche Flughafen in Frankfurt bestreikt werden. Christian Arns/
Jeannette Goddar, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen