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Machtkampf in Tadschikistan

Erste Todesopfer bei Schießereien zwischen Opposition und regierungstreuer Nationalgarde/ Ausnahmezustand erklärt/ Kommunisten versuchen sich an der Macht zu halten  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren besetzten Demonstranten zum ersten Mal den Leninplatz vor dem Obersten Sowjet der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. Damals forderte das Volk „mehr zu beißen“. Die kommunistische Clique an der Spitze des Pamirstaates reagierte panisch. 37 Tote waren zu beklagen und 200 Verletzte. Zwei Jahre später dasselbe Bild. Tausende von Demonstranten kauern Tag und Nacht in Zelten auf dem heutigen Ozodiplatz, stündlich werden es mehr. Doch fordern sie jetzt den Rücktritt der Regierung und diese spürt, daß ihre letzte Stunde geschlagen hat. Denn die Bedingungen haben sich verändert, in Moskau herrschen keine Kommunisten mehr, die ihren Vasallen zu Hilfe eilen könnten.

Die durch und durch korrupte Clique um Präsident Rachman Nabijew, die fast 20 Jahre lang den ärmsten Staat der GUS in Schach hielt, war noch nie zimperlich und scheint jetzt entschlossen, ihren Widersachern mit unnachgiebiger Härte zu begegnen. Am Dienstag eröffneten Spezialeinheiten das Feuer auf Demonstranten, wobei nach Berichten der Opposition mindestens vier Menschen gestorben sein sollen. Kurz zuvor hatte Nabijew den Ausnahmezustand über das Land verhängt und alle Bürger, die nicht in der Hauptstadt wohnen, aufgefordert, Duschanbe zu verlassen, um die Opposition zu schwächen. Auch in kleineren Orten soll es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen sein. Die Opposition behauptete, weitere Teile der Stadt unter ihre Kontrolle gebracht zu haben, von Regierungsseite wurde das hingegen dementiert. Wie bei ähnlichen Konflikten in ehemaligen Sowjetrepubliken ist auch in Duschanbe das Fernsehzentrum einer der Kampfherde. Nabijew hatte sich zuvor durch das Parlament Vollmachten uneingeschränkter Präsidialmacht verschafft, die es ihm gestatteten, das Land mit eiserner Faust zu „Ruhe und Ordnung zu bringen“.

Per Dekret verfügte er die Aufstellung einer Nationalgarde, oppositionelle Zeitungen wurden am Erscheinen gehindert. Der Konflikt hatte sich letzte Woche zugespitzt, nachdem die Opposition den Rücktritt des Parlamentsvorstehers Safarli Kendschajew verlangt hatte. Nabijew gab nach, beförderte den Hardliner jedoch zum Vorsitzenden des neuen Nationalen Sicherheitskomitees. Anschließend setzte er ihn erneut als Parlamentspräsidenten ein. Zur Opposition gehören die Demokratische Partei, die Volksfront „Rastochiz“, die von gemäßigten Moslems, Intelligenzlern bis zu ehemaligen Kommunisten sehr heterogene Kräfte umfaßt, und die islamische Wiedergeburtspartei (IWP). Allen gemeinsam sind die Forderungen nach Rücktritt der Regierung, Demokratisierung und Marktwirtschaft in einem Staat, in dem 68 Prozent der Bevölkerung unter dem Existenzminimum leben. Bei den Präsidentenwahlen im November 91 traten die Oppositionsparteien mit einem gemeinsamen Kandidaten an. Er erhielt 31 Prozent. Stärkste Kraft unter ihnen war die IWP, die in den letzten Monaten noch erheblich an Gewicht gewonnen hat. Nicht zuletzt nach dem Fall Nadschibullahs im benachbarten Afghanistan, wo eine große Minderheit Tadschiken lebt. Nach außen hin vertritt sie eine gemäßigte Form des Islam und setzt sich für die Trennung von Staat und Kirche ein. 58 Prozent stimmten damals trotz vorangegangener massiver Proteste für den Vertreter der alten Macht, Nabijew.

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