■ ERNEUT BEDENKLICHES: Ein Bordellbesuch. 'Die Zeit' hält Rudolf Walter Leonhardt die Stange. Da lacht der Mann, Soldat und Hosenträger, und die Leserin wundert sich.
Wenn Männer zu sehr lieben und zudem auch noch älter werden, sinken die Erinnerungen oft ins Unaussprechliche, statt ins Bewußtsein zu steigen. Um so erhellender ist es, wenn sie aus ihrer Hose keine Mördergrube machen, sondern sich schmunzelnd freundlichen Erinnerungen hingeben an die alten Zeiten, da alles noch war, wo es hingehört: die Frau als Ware auf der Bahre, und der Mann aufrecht darüber, mit nichts als einer Soldatenmütze als Stütze. Denn das ist schon kurios: Am Anfang wie am Ende des ‘Goldenen Zeitalters des Bordells' in Frankreich standen die Deutschen. Es erstreckte sich von der Zeit nach dem Krieg 1870/71 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, informiert uns Rudolf Walter Leonhardt in der Literaturbeilage der letztgültigen ‘Zeit'. Anlaß seiner Reflexionen über den Mann im Käufer und die Jungferne in der Frau ist ein Bildband über Bordelle, erschienen im Heyne Verlag (der von der gewohnten Taschenbuchbilligproduktion zu diesem edlen Zwecke einmal abgewichen ist): leicht frivol, mit vielen Bildern, an denen sich der Leser (und sicher nur er) ergötzen kann: so sehen wir die „Visitenkarte“ eines Bordells, auf der fünf Nackte in Strichzeichnung posieren, mit der schönen Unterzeile „Laufend frischer Nachschub“, treu nachgedruckt von der ‘Zeit', der Fachzeitschrift des deutschen Fleischerhandwerks. Darunter das, was in den ‘Sittengeschichten' gern als „zeitgenössische Fotografie“ bezeichnet wird: „Die Puffmutter, das Mädchen, der Kunde“ — das Mädchen mit entblößter Brust, der Kavalier noch bürgerlichst bekleidet... das Übliche also. Ausgezeichnet wird es erst durch den Begleittext jenes altverdienten Mitarbeiters unserer beliebten Wochenzeitung, dem Gelegenheit gegeben wird, einmal auch jene Anhangdrüse zu entblößen, mit der zu denken Feministinnen den Männern ohnehin seit jeher vorwerfen. (Und viele Augenzeugen kommen zu Wort. „Augen“? Sind die denn das Organ, an das einer zuerst denkt?) So freut er sich ganz unbefangen: Im Klappentext hieße es zwar, das Buch dokumentiere auch die Geschichte der käuflichen Liebe in ihrer ganzen sozialen Problematik. Aber: Gerade dies tut es glücklicherweise nicht. (Hurra, da lacht der Mann, Soldat und Hosenträger!) Es verschont den Leser, der sich an vielen Bildern ergötzen kann, mit moralischen Betrachtungen über die Ausbeutung der Frau,... nimmt nicht Partei... Es beschreibt ganz einfach, was da war, ehe es am 13. April 1946 verboten wurde. Und Rudolf Walter Leonhardt sagt: Es war ganz prima damals. Was schließlich verboten wurde, erfahren wir nicht (denn Bordelle, so vermuten wir, gibt es in Frankreich doch auch heute noch? Oder wohin verschwinden die Journalisten und Geschäftsfreunde denn zwischendurch auf ihren Dienstreisen nach Paris? Ins Bistro zum Frischfleisch à la carte?). Aber das macht nichts, dafür erfahren wir allerhand darüber, wie es um den Geisteszustand des Berichtenden heute steht: Unbelästigt von sozialhistorischen Bedenken sich an der alten Schweinigelpraxis zu erfreuen, schafft dem Tierchen das größte Pläsierchen. Warum an Ausbeutung denken, liegt die Beute so handgreiflich nahe? Warum Partei nehmen, sind die Opfer wie Pfingstkälbchen für die Ochsen geschmückt? Warum überhaupt nachdenken, wenn die beste Regung weiter unten sitzt?
Das wird sich wohl auch der Redakteur der Seite 14 „Politisches Buch“ nicht gedacht haben, der diese Preziose des schwitzenden Absinns mit einem Text der Historikerin Ute Frevert kombinierte, die sich über ein Buch zur „Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud“, erschienen beim Campus Verlag, so ihre ernsten Gedanken macht. „Auf den Leib geschrieben“ heißt die Studie von Thomas Laqueur, in welcher der Geschlechterdifferenz und ihren kulturhistorischen Folgen mit Erkenntnisenteresse nachgegangen wird. Aus dem Unterleib geschrieben sind die Bemerkungen des Rudolf Walter Leonhardt. Wir lassen ihn selbst den Schließmuskel betätigen: Ein Buch der Erinnerungen, heißt es zum guten Ende, ein Buch zum Nachdenken. Auch Schmunzeln ist erlaubt. Empörung wäre fehl am Platz. Schließlich weist es zurück auf eine Zeit, als Jungfräulichkeit noch Sammlerwert hatte. Durch die Bordelle wurde sie geschützt.ES
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